Bullenball
auf
gar nichts.
Das ist eine riesige Sache. Ich schwöre, es wird sich anfühlen wie
in einem beschissenen Film. Ich werde der dunkle Rächer sein, der das Feuer
über die Welt bringt. Der Rachegott, dem keiner entkommen wird. Ein Befreiungsschlag,
wie ich ihn noch nie erlebt habe. Ein großes und wahnsinniges Gefühl. Mein
finaler Auftritt.
In zwei Tagen ist es so weit. Danach wird nichts mehr sein wie
vorher. Und Grübeleien sind ab sofort verboten.
12
Am Freitag endete die Schule für Adelheid schon nach der
fünften Stunde. Am Nachmittag standen keine Kurse mehr an, und so konnte sie
rechtzeitig zum Mittagessen zu Hause sein. Wie an jedem Tag war sie froh, das
Schulgelände zu verlassen. Nicht das Lernen bereitete ihr Probleme, nein, es waren
hauptsächlich die Pausen, vor allem die eine Stunde am Mittag. Der
Spießrutenlauf in der Kantine, wenn sie mit ihrem Tablett an den Mädchentischen
vorbeimusste, wo getuschelt und gekichert wurde, sobald sie auftauchte. Das
Herumhocken auf dem Pausenhof, wenn alle anderen Abstand hielten, als hätte sie
die Beulenpest.
Zu Hause traf sie auf ihren Vater, der gerade die Stalltür hinter
sich schloss und auf den Hof trat. Er zog die Arbeitshandschuhe aus und wischte
sich den Schweiß von der Stirn.
»Adelheid, da bist du ja. Ein Glück.«
»Wieso? Gibt es heute so viel zu tun?«
»Nein, gar nicht. Aber du wirst nach dem Essen deine Mutter
begleiten. Ihr fahrt nach Coesfeld, um ein Kleid zu kaufen.«
Ihr Gesicht fiel in sich zusammen.
»Für den Bullenball morgen Abend, du weißt schon«, fügte er
irritiert hinzu.
Sie nickte und schwieg, woraufhin er das Thema wechselte.
»Da ist nur eine Sache, um die ich dich vorher bitten möchte.« Er
deutete auf die Weide, die am Schotterweg entlang bis zur Hauptstraße führte.
»Der Elektrozaun funktioniert nicht. Das Gerät läuft weiter, aber es ist kein
Saft mehr drauf. Irgendwo muss eine Störung sein.«
»Ich soll die Weide ablaufen, ob ich was finden kann?«
»Genau. Aber das hat Zeit bis nach dem Essen. Gehen wir erst einmal
ins Haus.«
»Nein, nein. Das kann ich auch gleich erledigen.«
Adelheid drehte sich um und ging zur Weide, erleichtert darüber,
sich für eine Weile davonstehlen zu dürfen. An der Straße unterhalb einer
Wallhecke fand sie die Ursache der Störung: Der Sturm der vergangenen Nacht
hatte den Ast einer Pappel abgerissen und ihn quer über den Elektrozaun
geworfen, wodurch der Draht in die feuchte Erde gedrückt wurde. Adelheid musste
nur über den Graben springen und den Ast herunterziehen, dann war wahrscheinlich
alles wieder in Ordnung.
In diesem Moment kam jemand die Straße entlanggelaufen, bog am
Wäldchen auf den Hauptweg und kam direkt auf sie zu. Es war Jule Brockmann, ein
Mädchen aus der Nachbarschaft, die ab und zu ein paar Worte mit Adelheid
wechselte. Jule war nicht wie die anderen Mädchen. Sie war nett und hatte sich
in ihrer Gegenwart nie über sie lustig gemacht. Eigentlich wäre Adelheid am
liebsten so schnell wie möglich über den Graben gesprungen und hinter der
Wallhecke verschwunden, aber es war bereits zu spät. Jule hob die Hand und
winkte ihr zu.
Es gab kein Zurück. Adelheid winkte zaghaft zurück und wartete, bis
Jule sie erreicht hatte.
»Hallo, Adelheid!«, rief sie fröhlich. »Na, bist du auch hier
draußen unterwegs?«
Adelheid merkte, wie sie heftig zu blinzeln begann. Sie wollte es
unterdrücken, doch es funktionierte nicht.
Das muss total bescheuert aussehen, dachte sie.
»Ja. Schon«, sagte sie.
»Mein Fahrrad hat einen Platten. Ich habe es an der Haltestelle
stehen lassen. Jetzt muss ich laufen.«
Adelheid merkte, wie ihr Körper sich anspannte. Sie hätte gern was
Nettes gesagt, einen Witz gemacht, irgendwas. Doch das gelang ihr nicht. Sie
schaffte es nicht einmal zu lächeln. Ihre Oberfläche wurde zu einer starren Maske,
nichts aus ihrem Innern drang hervor. Es war wie jedes Mal, wenn sie mit
anderen Mädchen sprach.
Jule ließ sich davon nicht irritieren. Sie plauderte einfach
freundlich weiter. »Na ja, ein bisschen frische Luft tut mir gut. Im Moment ist
so viel los, mit den Hochzeitsvorbereitungen und allem Drum und Dran, da ist
man selten mal alleine und kann ein bisschen durchatmen.«
»Ja«, kam es von Adelheid.
»Und jetzt noch diese ganze Geschichte mit den Amokdrohungen am
Anne-Frank, ich sage dir, das ist vielleicht ein Durcheinander.«
Das Anne-Frank-Gymnasium. Adelheid hatte bereits darüber
nachgedacht. Ein Bild, das sich
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