Bullenhitze
gefahren, wo er bei laufendem Motor ein wenig im Auto gedöst hatte. Nach drei Tassen Kaffee war er nach Kassel zurückgefahren und hatte die letzten zwei Stunden auf den Stufen des Herkules verbracht. Immer wieder war er von Schneeregengüssen durchnässt worden, bemerkte es jedoch kaum.
Nun saß der Kommissar in seinem neuen Wagen, konnte sich vor Kälte kaum noch bewegen, startete den Motor und drehte die Heizung voll auf. Bibbernd sah er auf die Uhr im Armaturenbrett und registrierte mit einem Rest an Zufriedenheit, dass es bald hell werden würde und er die Nacht überstanden hatte, ohne wahnsinnig zu werden. Zu Hause angekommen, ließ er Wasser ein, entkleidete sich umständlich und stieg in die Badewanne, doch auch dort hielt er es nicht lange aus. Dann jedoch forderte die Müdigkeit ihren Tribut und kurz nachdem er sich ins Bett gelegt hatte, schlief er ein.
Das Klingeln des Telefons weckte ihn um Viertel vor eins. Orientierungslos riss er die Augen auf, sah sich um, und hatte dabei das Gefühl, aus einem wohligen, sanften Traum gerissen zu werden. Mit zitternden Fingern griff er nach dem Gerät neben dem Bett.
»Ja«, meldete er sich, »Lenz.«
»Ich bin’s, Uwe.«
»Hallo, Uwe. Warte eine Sekunde, ich muss erstmal durchatmen.« Er legte das Telefon neben sich, rieb sich die Augen und holte tief Luft. »Hoffentlich hast du keine schlechten Nachrichten für mich. Davor hab ich nämlich mächtig Schiss.«
»Nein, habe ich nicht, aber leider auch keine guten. Sie ist gerade wieder in den OP geschoben worden, nachdem sich bei einer Computertomografie herausgestellt hat, dass sich in ihrem Kopf ein Hämatom gebildet hat.«
»Scheiße.«
»Zunächst ist das weder gut noch ganz schlecht. Aber es kann zu bösen Komplikationen führen, das ist klar.«
»Was hat sie denn sonst noch?«
»Ziemlich viel. Ich habe eben noch mit Professor Richle telefoniert, den ich schon ziemlich lange und ganz gut kenne, und der sie letzte Nacht auch operiert hat. Er sagt, übrigens im vollen Vertrauen, dass ich mit niemandem darüber spreche, das Schlimmste seien die Verletzungen wegen des sogenannten Hochrasanztraumas, aber frag mich nicht, was das genau bedeutet. Er hat es mir so erklärt: Wenn der menschliche Körper bei einem Unfall wegen des Aufpralls stark verzögert wird, können die Organe aufgrund der Trägheit nicht sofort stoppen, und das kann schwere Verletzungen verursachen. Ich habe bisher noch nie davon gehört. Bei Maria sind wohl mehrere Organe davon betroffen, so weit ich es verstanden habe. Dazu kommt ein Rippenserienbruch rechts, verbunden mit einer Lungenverletzung, und ein mehrfacher Beckenbruch. Und jede Menge Abschürfungen und Blutergüsse, aber das sind Petitessen. Sie muss ziemlich schnell gewesen sein beim Aufprall, sagt der Doc.«
»Wen wundert das«, erwiderte Lenz traurig. »Langsam fahren kann sie, glaube ich, überhaupt nicht. Außerdem hat sie ihre persönlichen Verspätungen so weit kultiviert, dass sie praktisch immer in Eile ist.«
»Dazu kommt jetzt natürlich noch die Sache mit dem Hämatom im Kopf. Richle sagt, dass man frühestens in ein paar Tagen mit Bestimmtheit sagen kann, ob sie durchkommt.« Er schluckte. »Wenn sie bis dahin …«
Es entstand eine Pause, weil keiner der Polizisten den Satz zu Ende brachte oder etwas anderes sagen wollte.
»Hast du geschlafen?«, fragte Wagner in die Stille.
»Ja, bis eben. Davor bin ich die halbe Nacht durch die Gegend gefahren, hab danach am Herkules im Regen gesessen und mir vermutlich eine Lungenentzündung geholt, und war so um halb 7 Uhr hier. Danach hab ich gepennt.«
»Hast du Lust, mit mir zu Mittag zu essen?«
Lenz überlegte. »Hunger hab ich gerade gar keinen, aber das kann ja noch werden. Wo willst du denn hin?«
»Das lasse ich dich entscheiden, wenn du mitkommst. Soll ich dich abholen?«
»Nein, ich bin selbst mobil.«
»Hast du ein Auto der Carsharing-Agentur?«
»Nein, ich hab seit gestern ein eigenes.«
Wagner war hörbar überrascht. »Wie, ein eigenes. Du hast dir ein Auto gekauft?«
»Ja, was ist daran so bemerkenswert?«
Kurze Pause.
»Vergiss es. Wir treffen uns in einer halben Stunde im Il Theatro am Entenanger, O. K.?«
»Gut. Und … danke, Uwe.«
»Nochmal, dafür nicht. Du bist mein bester Freund, und deiner Freundin, auch wenn sie die Frau unseres OB ist, geht es denkbar schlecht. Wenn ich in deiner Situation wäre, würde ich mir denken, dass das verdammt nochmal das Mindeste ist, was du für
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