Bullenhitze
Brandau irritiert, weil er vermutete, dass sein Besucher betrunken sein könnte. »Kommen Sie doch erstmal rein und setzen Sie sich. Vielleicht hilft Ihnen ein starker Kaffee.«
»Nein, lassen Sie … mal, mir geht es gut. Wenn ich nur kurz … Ihre Toilette benutzen dürfte?«
»Klar«, antwortete Brandau und trat zur Seite. »Hier gleich rechts.«
Wohlrabe sprang schwankend an ihm vorbei, riss die Tür auf und stürmte in das kleine Badezimmer. Doch noch bevor er die Toilette erreicht hatte, schoss eine Fontäne Erbrochenes aus seinem Mund und besudelte Boden, Waschbecken und Badewanne. Auch der Spiegel wurde gesprenkelt. Brandau stand in der offenen Tür und sah dem Treiben des Bestattungsunternehmers fassungslos zu, der mit dem Oberkörper in seiner Kotze gelandet war, zitterte, und unverständliche Wortfetzen von sich gab.
Der Bauarbeiter sah nach rechts, in den Hausflur, als ob er erwartete, dass sich eine weitere Person nähern und ihm die Situation erklären würde, doch da war niemand.
»Verdammt«, murmelte er. »Verdammicht.« Dann griff er dem Bestattungsunternehmer unter die Achseln, zog ihn hoch, und setzte ihn auf dem Badewannenrand ab. »Was ist denn mit Ihnen?«
»Tut … mir … leid«, erwiderte Wohlrabe mit Blick auf den Boden. »Aber … mir …« Damit fiel sein Kopf nach vorne.
»Verdammt!«, fluchte Brandau erneut, nun wesentlich lauter. »Kommt hier rein und kotzt mir alles voll. Das gibt’s doch nicht.« Wieder griff er dem Mann unter die Achseln, drehte ihn um und wuchtete ihn in die Badewanne, wo sein Kopf hart aufschlug.
»’tschuldigung«, nuschelte Wohlrabe.
Nun bekam Brandau es mit der Angst zu tun. Sein merkwürdiger Besucher war offensichtlich ein Vertreter des Bestattungsinstituts, das sich gestern Abend um seine Frau gekümmert hatte, aber die Verfassung, in der er war, ließ den Bauarbeiter doch sehr an der Seriosität des Unternehmens zweifeln.
»Hallo!«, rief er laut und klebte dem Mann dabei links und rechts eine. Dessen Kopf flog von einer Seite zur anderen, ohne eine Regung zu zeigen. »Jetzt wird’s mir aber zu bunt«, murmelte Brandau, verließ das Badezimmer, griff zum Telefon und wählte die 112.
»Brandau hier. Bei mir ist was ganz Komisches passiert.«
»Was denn, bitte?«, wollte die Mitarbeiterin der Leitstelle wissen.
»Bei mir hat gerade einer geklingelt, der sah ganz mitgenommen aus. Ich glaube, er ist von dem Bestattungsinstitut, weil meine Frau doch gestern Abend gestorben ist. Und dann ist er in mein Bad gestürmt und hat alles vollgekotzt. Jetzt liegt er in der Badewanne und rührt sich nicht mehr.«
»Ist der Mann betrunken?«
»Das dachte ich zuerst auch. Ich weiß es aber nicht. Können Sie nicht mal jemanden vorbeischicken, der nach ihm sieht? Ich weiß nämlich nicht, was ich mit ihm machen soll.«
»Ist er ansprechbar?«
»Nein, der sagt nichts mehr.«
»Zuerst sagen Sie mir jetzt bitte noch einmal langsam Ihren Namen und Ihre Adresse«, verlangte die Frau, »dann kann ich gleich den Einsatz veranlassen. Alles Weitere klärt der Notarzt mit Ihnen.«
Brandau nannte seinen Namen, seine Adresse, das Stockwerk, und seine Telefonnummer.
»Den Namen des Mannes, der in Ihrer Badewanne liegt, wissen Sie nicht?«
»Nein, woher denn auch?«
»Gut. Der Notarztwagen ist unterwegs und müsste in ein paar Minuten bei Ihnen sein. Solange bringen Sie den Mann bitte in eine stabile Seitenlage. Geht das?«
»Na ja, ich denke schon«, erwiderte Brandau nach einer Denkpause, während der er sich fragte, was um alles in der Welt nochmal eine stabile Seitenlage war. Irgendwo in der Ferne hörte er das Jaulen eines Martinshorns und betete lautlos dafür, dass der dazugehörige Krankenwagen hoffentlich auf dem Weg zu seiner Wohnung war.
»Ich höre gerade die Sirene«, ließ er die Frau wissen, bedankte sich und legte auf.
»Hier oben«, rief Brandau ins Treppenhaus, nachdem er zum zweiten Mal an diesem Sonntagmorgen auf den Öffner der Haustür gedrückt hatte. Zwei Sanitäter, ein Mann und eine Frau, gefolgt von einem Notarzt, kamen die Treppe hoch und standen keine zehn Sekunden später vor seiner Tür.
»Wohin?«, fragte der Mann.
»Hier«, erklärte Brandau, trat zur Seite und deutete auf die offenstehende Tür zum Badezimmer. »Da liegt er, in der Badewanne.«
Die beiden Sanitäter warfen einen kurzen Blick ins Bad, traten zur Seite, und winkten den Notarzt durch. Offenbar war es vor der Badewanne zu eng für alle drei.
Der Notarzt, der
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