Bullenpeitsche: Kriminalroman (Droemer) (German Edition)
zieht sich wie alter Kaugummi. Weil wir Sackmann erst für morgen früh ins Präsidium bestellen durften, sind der Calabretta und ich auf eine blöde Art zur Untätigkeit verurteilt. Wir sitzen in unserer SoKo-Zentrale, und die Mannschaft ist außer Haus. Wir drehen Däumchen, weil es gerade nichts mehr zu erledigen gibt. Die Herren Brückner und Schulle sind im Milieu unterwegs, Augen und Ohren aufhalten. Der Inceman und der Tschauner klopfen bei den einschlägigen Dealern der oberen Zehntausend auf den Busch. Vielleicht haben die was gehört. Vielleicht verplappert sich einer. Der Kringe und der Bartels umschleichen weiter deren Kundschaft. Polizeischwarzbrotarbeit. Yo. Und der Calabretta und ich sitzen hier rum. Wir kauen nochmal alles durch, alle Fotos vom Tatort, den KTU-Bericht, den Pathologie-Bericht, Dr. Henning Sackmann. Wir stecken die Köpfe zusammen, wir raufen uns die Haare. Ich rauche, der Calabretta trinkt Kaffee. Am Ende sind wir vollkommen hirnverklebt und kein Stück weiter, wir haben nicht einen winzigen neuen Anhaltspunkt. Wir sind darauf angewiesen, dass Sackmann morgen auspackt.
Es ist kurz vor 18 Uhr.
»Ich gehe«, sage ich.
Der Calabretta nickt und lässt den Kopf auf die Tischplatte fallen.
* * *
Carla sitzt in ihrem Café hinterm Tresen. Sie hat es sich auf der Arbeitsplatte unter dem goldgerahmten Spiegel gemütlich gemacht, blättert in einer Zeitschrift und ignoriert ihre Gäste. Ihre Locken sind wieder etwas länger geworden, einige hängen ihr bis auf die Schultern, manche stehen wie die Knethaken einer Küchenmaschine von ihrem Kopf ab. Sie trägt ein schlichtes schwarzes Kleid mit langen Ärmeln. Und braune Clogs, die fröhlich gegen den Kühlschrank schlagen, während sie die Beine baumeln lässt. Sie sieht ein bisschen aus wie eine Mischung aus Mortisha Adams und Pippi Langstrumpf. An drei Tischen warten sieben Leute darauf, von ihr bedient zu werden. Plus noch ein Gast, nämlich ich, der gerne ein Glas Weißwein hätte.
»Carla«, sage ich, »du hast ein Café, wusstest du das?«
Sie reagiert nicht, ist vollkommen in ihre Zeitschrift vertieft.
»Carla, deine Gäste warten auf dich.«
Sie kuckt mich wichtig an.
»Ich kann jetzt nicht, ich muss ein Brautkleid finden.«
»Du heiratest in vier Tagen«, sage ich.
»Eben.«
»Und du hast noch kein Kleid?«, frage ich.
»Hast du denn schon ein Kleid?«
»Ich brauche kein Kleid«, sage ich. »Ich komme im Anzug.«
»Boah, ey«, sagt sie, »ich glaub, ich komm’ auch im Anzug. Ich finde das Zeug alles so schrecklich.«
Sie hält ihre Zeitschrift hoch. Auf dem Titel steht BRÄUTE HEUTE, und dann grinst einem da eine Frau in einer textilen Buttercremetorte entgegen. Die Stirn der Frau sieht nicht so aus, als wäre dahinter ein Gehirn untergebracht.
Ich nehme ihr das böse Heft aus der Hand und sage: »Das ist ja auch nichts für dich.«
»Was ist dann was für mich?«
»Hm.« Ich muss nachdenken. »Kennst du die Schneiderzwillinge bei mir ums Eck?«
Sie schüttelt den Kopf.
Ich kucke auf die große Uhr an ihrer Wand. Es ist kurz vor sieben.
»Die haben bis halb acht auf«, sage ich. »Wenn wir Gas geben, schaffen wir das.«
Über ihr Gesicht ergießt sich ein Lächeln.
»Danke«, sagt sie, rutscht von ihrer Sitzgelegenheit, kommt hinterm Tresen vor, fällt mir um den Hals und kichert. »Ich hätte nicht gedacht, dass du mal so eine Art Stylingberatung aufmachst.«
Das hätte ich allerdings auch nicht gedacht.
»Okay«, sage ich, »ich das Taxi, du die Gäste.«
Ich stelle mich im Regen auf den Gehsteig und rufe bei der Taxizentrale an, während Carla ihren vernachlässigten Gästen erklärt, dass dieses Café hier heute früher schließt, und zwar genau jetzt.
* * *
Die Schneiderzwillinge sind vermutlich einfach nur Brüder, aber für mich sind sie Zwillinge. Denn sie haben sich über die Jahre in ihrem winzigen Schneiderladen wesenhaft so angenähert, dass niemand sie mehr unterscheiden kann. Und sie sehen sich mit jedem Tag ähnlicher, wie das bei Geschwistern eben so ist, wenn sie älter werden. Außerdem tragen sie immer die gleichen klassischen Sachen. Im Winter dunkle Hosen und dunkle Rollkragenpullover, im Sommer dunkle Hosen und dunkle Hemden. Früher habe ich tatsächlich gedacht, da wäre nur ein Schneider im Laden. Bis ich sie einmal zusammen hab durch die Tür kommen sehen.
Sie sind tatsächlich immer zu zweit, es ist nie einer alleine im Laden. Während der eine vorn steht und sich unter dem
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