Bullenpeitsche: Kriminalroman (Droemer) (German Edition)
anderen drei.
»Wenn ich hier rauskomme«, sagt er leise, »werde ich eine Weile nicht da sein.«
»Nicht an die Arbeit denken«, sagt der Calabretta. Seine Stimme ist belegt, reibeisenbelegt.
»Ich meine nicht die Arbeit«, sagt der Inceman. »Ich will weg. In die Türkei. Ans Meer. Zu meiner Familie. Keine Ahnung, wann ich zurück bin.«
Der Calabretta winkt ab, versucht ein Lächeln. Wie aus Versehen streichelt er dem Inceman die Wange.
Die Zeit kriecht. Ich spüre, wie das Blut aus meinen Beinen läuft, aus meinen Füßen, in den Boden rein, das Linoleum verwandelt sich in einen Schwamm, kann all mein Blut aber trotzdem kaum aufnehmen. Es ist, als würde mich jemand von innen waschen. Ich kann nicht aufhören, seine Hand zu halten. Meine Hand brennt. Der ganze Schmerz seiner rechten Seite in meiner Haut.
»Regnet es noch?«, fragt er.
»Nein«, sage ich. »Es hat aufgehört.«
Keine Ahnung, ob das stimmt.
* * *
Meine Gefühle sind ja nicht gerade meine besten Freunde. Ich weiß nicht viel mit denen anzufangen. Nur meine Wut, die kenne ich gut. Auf die hab ich immer und direkt Zugriff. Im Moment rasen wir gemeinsam durch den Stadtteil, Sankt Pauli zittert unter unseren Schritten. Wir fassen zusammen: Zwei Polizisten sind tot, der Inceman ist ein Krüppel, wir haben keine Ahnung, worum es bei der ganzen Scheiße eigentlich geht, sicher ist nur, dass unser Oberstaatsanwalt da irgendwie mit drinhängt und der Scheißtyp von albanischem Gangster. Meine Wut legt einen Zahn zu und marschiert voraus, ich hechte hinterher. Vielleicht war die Idee von Bruns, Schubert hinterrücks und über die Presse eine reinzuhauen, doch ziemlich gut. Dreckig, aber schnell und effektiv. Wenn alles läuft wie geplant, fliegt dem Schwein morgen früh seine Vergangenheit um die Ohren, und er kann nichts dagegen tun. Und wir sind ihn dann erst mal los. Das ist gut, sagt meine Wut. So einer hat kein Recht, auf seinem dicken Stuhl zu sitzen und uns kleine Figürchen übers Schachbrett zu jagen. So einer muss weg. Meine Wut brüllt in mir wie eine wildgewordene Sau. Da duckt sich sogar das alte Kopfsteinpflaster. Und so rennen wir weiter durch die Straßen, entsichert und gespannt und bereit zuzuschlagen, bis mir irgendwann die Puste ausgeht und die Kraft, wütend zu sein, und da rennt meine Wut ohne mich davon. Ich sehe sie noch rot und wild und brennend um die Ecke biegen, aber ich kann nicht mehr. Ich gehe noch ein paar Schritte, ich lasse es ruhiger werden, dann setze ich mich auf eine der abgeliebten Holzbänke in unserer Straße. Ich zünde mir eine Zigarette an, ich höre auf meinen Herzschlag, ich denke an den Inceman und frage mich, wo sein Arm jetzt eigentlich ist. Wahrscheinlich haben sie ihn einfach mit den Resten der Fensterscheibe zusammengefegt und weggeworfen.
Und wie ich da so auf der Bank sitze und an einen Haufen blutigen Müll denke, sehe ich plötzlich den Regen neben mir hocken. Er ist dick und grau, seine Schultern hängen, und er tropft den ganzen Gehsteig voll. Er sieht mich nicht an, er sagt nichts, aber ich spüre, dass er alleine ist und nicht weiß, wohin mit sich. Ich kann ihn nicht einfach hier sitzen lassen. Er tut mir leid. Alle haben dermaßen die Schnauze voll von ihm. Keiner will ihn mehr haben. Das ist ja auch nicht fair.
»Okay«, sage ich, »dann komm mal mit.«
Ich nehme den Regen an die Hand. Er ist schwerfällig und nicht leicht zu bewegen, ein flüssiges Monster. Aber wir schaffen es über die Straße, durch die Haustür und bis nach oben in den dritten Stock.
Ich hab ihn dann einfach in die Badewanne gelegt und mich gleich dazu. Die Sauerei im Treppenhaus wird schon von selbst wieder trocknen.
* * *
»Chas? Wo sind Sie?«
Ich bin in der Badewanne eingeschlafen. Aber das geht den Faller nichts an. Da macht der sich nur Sorgen.
»Ich bin zu Hause. Wo sind Sie denn?«
» Hafencity«, sagt er, »vor Carls Brasserie , gleich neben der Elbphilharmonie. Ich wollte Ihnen nur kurz Bescheid geben, dass Senatsdirektor Oenninger sich gerade mit Oberstaatsanwalt Schubert trifft. Der Brückner und der Schulle sitzen im Auto gegenüber, wir sind uns fast gegenseitig über die Füße gefahren. Was ist denn da los, dass Sie nicht nur einen hohen Rathausbeamten, sondern auch noch Ihren Vorgesetzten beschatten lassen, mein Mädchen?«
»Wo ist der Calabretta?«
»Ich hab ihn nach Hause geschickt«, sagt der Faller. »Dem Jungen ging’s nicht gut.«
Kann ich verstehen.
»Rufen Sie ihn auch
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