Bullet Boys
jetzt im Schuppen stand. Das war einfach nur super.
»Willst du zur Feier des Tages ein bisschen Speck?«, fragte Tim.
Alex schüttelte den Kopf. Tim zog die Stiefel aus und ging zum Ausguss, um sich die Hände zu waschen. Alex’ Vater war ein großer schlanker Mann mit kurz geschorenen grauen Haaren und freundlichen Augen.
»Solltest du nicht in der Schule sein?«, fragte er. »Du hast doch Bio in der ersten Stunde, oder? Und ich dachte, ihr hättet heute euer Geografie-Projekt.«
»Da geht’s nur um Datenerfassung«, sagte Alex. »Dafür muss ich nicht in die Stadt. Wir sollen uns auf die Überführung stellen und Autos zählen.«
Die schreckliche Begegnung mit den Soldaten am Fluss steckte ihm noch so in den Knochen, dass er Tim nicht davon erzählen konnte.
Du bist tot.
Alex stellte sich immer wieder vor, was hätte passieren können. Wenn der Soldat ihn verletzt hätte – in dem Baum hätte ihn niemand gefunden. Alex hatte Tim nichts gesagt, weil er wusste, dass sein Vater alles ganz genau wissen wollen würde und Alex ihm die Geschichte immer und immer wieder erzählen müsste und dass diese am Ende höchstwahrscheinlich im Miner’s Arms, der Dorfkneipe, bei einem Glas Ale die Runde machen würde. Und bald würden alle im Tal wissen, dass Alex Jebb, Sohn des Wildhüters, sich in einem hohlen Baum vor einem weinenden Soldaten versteckt hatte, der sein Gewehr verloren hatte – was das schlimmste Vergehen eines Soldaten war.
»Komm schon«, sagte Tim. »Ich fahr dich. Du darfst nicht fehlen.«
Alex stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Deine Mutter würde mich umbringen, wenn ich nicht dafür sorgen würde, dass du einen ordentlichen Abschluss bekommst.«
Alex dachte, dass das höchst unwahrscheinlich war, denn seine Mutter war schon seit dreizehn Jahren tot.
»Da wir gerade davon sprechen«, sagte Tim. Er ging zurKüchenschublade, nahm einen blassblauen Umschlag heraus und gab ihn Alex. »Der Letzte«, sagte er und musste den Blick abwenden.
Es war nicht irgendein beliebiger Geburtstagsgruß. Er war von Alex’ Mutter. Sie hatte ihrem Sohn noch kurz vor ihrem Tod dreizehn Geburtstagsbriefe geschrieben. An jedem Geburtstag bekam Alex einen Umschlag in einer anderen Farbe und einer anderen Form, adressiert an Alexander Jebb, in der vertrauten ordentlichen Schrift seiner Mutter. Sein Dad hatte alle verwahrt und händigte Alex jedes Jahr einen aus.
Alex schob den Umschlag in die Tasche. Er wollte den Brief jetzt nicht lesen, vor allem, weil es der letzte war. Tim hatte ihm gesagt, dass Helena erst ganz kurz vor ihrem Tod auf die Idee mit den Briefen gekommen sei und nicht mehr die Kraft gehabt habe, über Alex’ achtzehnten Geburtstag hinaus zu schreiben.
»Komm schon, Alter«, sagte Tim und unterbrach Alex’ Gedanken. »Raus ins Leben.«
Alex schloss die Waffe weg und drehte bedauernd den Schlüssel herum.
»Hast du keine Lust, deine Kumpels zu treffen?«, fragte Tim. »Wie geht’s Levi?«
»Gut«, nickte Alex.
»In der Schule müsste es doch ein paar nette Mädchen geben?«, bohrte Tim.
»Es gibt da ein paar wunderbare Mädchen«, antwortete Alex. Er grinste. »Aber keine von denen findet mich wunderbar.«
»Auch wenn du es mir nicht glauben magst«, sagte Tim, »aber du hast mein gutes Aussehen geerbt.«
Alex streifte sein T-Shirt ab und wusch sich über dem Ausguss. Er trocknete sich mit einem Geschirrtuch ab und zog ein trockenes T-Shirt von der Leine über dem Kamin. Immerhin bekäme er heute Sasha zu sehen. Die von ihm natürlich keine Notiz nehmen würde.
»Okay«, sagte er. »Ich geh hin.«
LEVI
Die Bushaltestelle entspricht voll dem Klischee: Graffitis (hab ich selber vor zwei Jahren angebracht), Uringestank (ich glaube zumindest nicht, dass ich das war) und jede Menge Einwickelpapier von Süßigkeiten (die gibt’s doch überall auf der Welt, oder? Liegen wie riesige Staubflusen auf dem Globus rum). Ich zieh mir den Filzhut runter in die Stirn und rücke meine Ohrstöpsel zurecht. Ich höre Hip-Hop. Nichts anderes ist es wert, an mein Ohr zu dringen.
Ich werd dich nicht beißen / dich auch nicht bescheißen
kann selber denken, mich muss keiner lenken
ich bin nicht artig / aber auch nicht abartig
lasst mich grooven, yeah,
ich will Spaß
ohne Hass
Ich rucke mit dem Kopf im Rhythmus, als hätte ich einen Anfall. Mein bester Rap bei 180 bpm. Er heißt: »Ich will Spaß« und klingt, als würde ich auf einen Presslufthammer rappen. Gerry Fisher und ich haben das Teil bei mir
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