Bullet Boys
mein Vater mir ganz kurz in die Augen geguckt, dann aber den Blick wieder fest auf seinen ältesten Sohn gerichtet.
Ich krieg’s nicht hin / es hat keinen Sinn / bin nicht von
der Art / die mein Dad so mag
Es wird keine zweite Abschlusszeremonie mit Parade geben, ganz egal, wie sehr meine Eltern sich das wünschen. Ich könnte in dieser perfekt laufenden menschlichen Maschinerie genauso wenig mitmarschieren, wie ich auf den Mars fliegen könnte. Ich bin völlig falsch geraten.
Später, auf dem Heimweg, als das Feuerwerk den Himmel hinter uns erleuchtet und ich wie ein zu groß geratenes Kind angeschnallt auf dem Rücksitz sitze, höre ich meine Mutter leise schnarchen. Der Hut auf ihrem Schoß zittert, ihre Finger umklammern das offizielle Programm.
Major Dad räuspert sich: »Harter Tag für dich, was, alter Freund?«
Ich richte mich überrascht auf. Sollte dies Zuwendung und Verständnis bedeuten? Ist das mein Vater, Mr Frank Cosgrove, seit mehr als zwanzig Jahren Verwalter militärischer Verteidigungsanlagen und vermutlich der Erfinder der Redensart »die Haltung bewahren«? Derselbe Vater, der nicht einmal mit mir im Garten Ball gespielt hat, der mir nie etwas zu essen gemacht hat, mich nie zu etwas anderem ermutigt hätte als zu einer militärischen Karriere? Der, als ich den begehrten Kunstpreis der Schule gewonnen hatte, bemerkte, dass Malen »eher ein Hobby für Offiziersfrauen« sei?
Ich sage nichts. Es war wirklich ein harter Tag. Ich werde nie tun, was ich in den Augen meiner Eltern tun müsste. Mein Leben ist vertan und ich bin noch nicht mal achtzehn.
»Für deine Mutter ist ein Traum wahr geworden.«
Ich nicke. Obwohl er mich gar nicht sehen kann.
»Es besteht immer noch die Möglichkeit, dass du es schaffst«, sagt Dad entschieden und ich lasse mich zurück in die Lehne fallen.
»Streng dich an in der neuen Schule, bring Bestnoten nach Hause, und wenn du erkennen lässt, dass du aus deinen Fehlern gelernt hast, nimmt dich Sandhurst vielleicht trotzdem. Es gibt viele Offiziere, die von der Schule geflogen sind.« Er blickt mich an. »Sogar welche, die sich so danebenbenommen haben wie du.«
Ich kann nicht verhindern, dass mir ein Stöhnen entfährt. Der Moment herzlichen Einverständnisses war kurz. Dad wollte mich nur mürbe machen, bevor er zum tödlichen Schlag ausholt.
»Daraus wird nichts«, sage ich leise und mag kaum glauben, dass ich mich wirklich traue, das auszusprechen.
»Doch, das wird es«, sagt Dad, die Augen unverwandt auf die Straße gerichtet, die Knöchel am Lenkrad leuchtend weiß. »Ich werde nicht zulassen, dass du dein Leben wegwirfst.«
Der Motor brummt laut. Ich bin wie benommen. Mir schießt der Gedanke durch den Kopf, ich könnte einfach die Wagentür aufmachen, mich herauskippen und meinem Schöpfer gegenübertreten. Vielleicht ist der Seitenstreifen weich. Dann fällt mir die Kindersicherung ein. Ich sitze fest.
»Es ist mein Leben«, sage ich mit zur Schau gestellter Tapferkeit, während mein Vater mich im Rückspiegel scharf anguckt.
Mutter hustet im Schlaf.
»Das war der schönste Tag meines Lebens«, murmelt sie.
Ich vergrabe den Kopf in meinen Armen.
DIE KATE DES WILDHÜTERS
Die Sonne stand schon hoch am klaren blauen Himmel über dem Moor. Im Wetterbericht wurde vor gefährlicher Hitze gewarnt. Alex stand in der Tür der Kate und beobachtete drei wilde Ponys, die beim Toilettenhäuschen grasten.
Er lebte mit seinem Vater Tim in der Kate, die zwischen Weißbirken an einem ausrangierten Eisenbahngleis stand. Sie war nicht groß, etwa wie ein kleines Reihenhaus, und hatte einen kleinen Garten, in dem Gras und Nesseln wucherten. Im hinteren Raum war gerade mal Platz für das gewaltige Sofa an der Wand, einen Fernseher und einen Holzofen, der immer bollerte, abgesehen von Tagen wie heute, an denen es so heiß war, dass sogar der Schieferboden schwitzte. In der Küche standen ein kleiner Tisch und zwei rissige Holzstühle. Einziger Schmuck war ein altes Bild mit einem Fasan über dem Kaminsims, das schon dort gehangen hatte, als die Familie vor fünfzehn Jahren eingezogen war. Alex trat in den Flur und zog die Tür der Treppenverkleidung auf. Dahinter war ein großer grauer Metallschrank an die Wand geschraubt. Alex nahm einen kleinen Schlüssel aus der Tasche und steckte ihn ins Schloss. Die Tür quietschte beim Öffnen.
Im Schrank hing eine Reihe glänzender Gewehre. Im Gegensatz zum übrigen Haus roch es hier nach Öl und Poliermitteln. An den
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