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Bullet Boys

Bullet Boys

Titel: Bullet Boys Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ally Kennen
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Schweigen nicht irritieren.
    »Ich bin Levi Jones. Wir haben uns vor fünf Jahren getroffen, im Jugendcamp von der Armee. Du warst nur eine Woche da und wir beide waren Partner an der hohen Wand. Du hattest Höhenangst. Und bist da oben zu einem Klotz erstarrt.« Der Junge nimmt eine theatralische Pose ein. »Ich hab dir gut zugeredet, damit du dich runtertraust. Weißt du noch?«
    Ja, ich erinnere mich an die entsetzliche Angst vor dem Abstürzen und an die damit verbundene Demütigung. Über das irre Geschrei und Gebrüll hinweg hatte jemand mit mir geredet, mich aus meiner Starre erlöst und mich vondieser Horrorwand runtergekriegt. Es war nicht der Ausbilder; vor dem hatte ich eine Heidenangst. Der hier war offenbar der Typ, der mich beruhigt hatte.
    Fantastisch. Eine weitere Demütigung.
    »Du bist nicht mehr wiedergekommen«, fährt Levi fröhlich fort. »Ich war noch einen Monat da und dann bin ich von genau der Wand gefallen und habe mir den Arm gebrochen, an drei Stellen, guck!« Er hebt den rechten Arm, der wie ein Bumerang nach hinten gekrümmt ist. »Danach hat meine Mum mich nicht mehr hingelassen.«
    Levi hat einen leichten West-Country-Akzent und stämmige, muskulöse Arme. Er trägt ein graues T-Shirt, blaue Jeans und abgelatschte Turnschuhe. Also kein Dandy.
    »Und?«, fragt Levi. »Warum bist du hier? Bist du nicht auf der Risings?«
    WAS WEISS ER?
    »Ich vergesse nie ein Gesicht«, sagt Levi zuvorkommend. »Vor allem nicht das von einem, dem ich das Leben gerettet habe.«
    »Ich bin rausgeflogen«, antworte ich. Das kann ich genauso gut jetzt gleich sagen. Er weiß das wahrscheinlich sowieso schon.
    »Klasse«, sagt Levi, offensichtlich erfreut. »Was hast du gemacht?«
    Ich mustere Levi sorgfältig. Ich möchte unsere kleine Begegnung nicht versauen.
    »Du musst es mir nicht sagen«, sagt Levi und legt den Kopf schief. »Muss aber ganz schön heftig gewesen sein.«
    »Ich habe Essen geklaut«, wage ich mich vor. »’ne ganze Menge.«
    »Oh.« Levi kneift die Augen zusammen und muss zurSeite blicken, um der Lüge auszuweichen. »Und deswegen haben sie dich rausgeschmissen?«
    »Ich habe mehr als einmal geklaut«, erkläre ich und komme langsam in Fahrt. »Ist so was wie ’ne Gewohnheit geworden. Ich bin in die Küche gegangen und hab Essen aus den Regalen genommen. Ich habe jede Menge Verwarnungen bekommen, aber ich konnte einfach nicht aufhören. Ich hatte auf das Wappen der Schule geschworen, dass ich es nicht wieder tun würde, also blieb ihnen keine Wahl.«
    »Du musst mächtig Hunger gehabt haben«, sagt Levi und kratzt sich die Nase. Jetzt kann er mich wieder ansehen. Er durchschaut mich langsam. Weiß, was ich für ein Typ bin. Ein. Lügner.
    »Ich hab immer Hunger«, sage ich. »Guck doch, wie dünn ich bin. Ich hab eine Stoffwechselstörung.« Ich halte zur Begutachtung meinen dürren Arm hoch.
    Levi nickt. »Mehr hast du nicht geklaut?«
    Nö. Mein Hirn ist leer. Meine Lippen sind verschlossen. Es kommt nichts mehr raus. Levi hätte mich genauso gut bitten können, unser Sonnensystem mit Hilfe einer quadratischen Gleichung zu berechnen.
    Zu meiner Erleichterung hört Levi mit dem Kreuzverhör auf und guckt stattdessen auf sein Telefon. Ich nehme an, so ein kumpelhafter Typ wie er hat im Gegensatz zu mir Freunde, die ihm Nachrichten schicken.
    »Egal. Ich hab in zwei Minuten Geografie. Wo musst du hin?«
    »Geografie«, sage ich im Brustton der Überzeugung. »Heute gehen wir doch auf Exkursion, oder?«
    »Folge mir«, sagt Levi, als wäre er so eine Art Kultfigur.
    Wir gehen über Betonstufen, auf gummiartigen Fußböden durch Korridore, in denen schlechte Kunst hängt. Levi schiebt sich durch die Menge und bahnt mir den Weg.
    Irgendwann wird die Wahrheit rauskommen, aber ich habe wenigstens etwas Zeit gewonnen. So kann ich mir überlegen, wie ich es am besten drehe.
    Was soll ich tun?

ERSTES BLUTVERGIESSEN
    Aus unerfindlichen Gründen kommt es im Laufe der Schulzeit immer wieder zu demütigenden Situationen wie dieser: Fünfzehn Schülerinnen und Schüler, ausgestattet mit an den Ecken gepolsterten Klemmbrettern, müssen Autos zählen, als wären sie fanatische Verkehrshüter. Alle tragen gelbe reflektierende Warnwesten.
    Ich habe auf der Überführung Posten bezogen, gemeinsam mit Levi und einem großen, schlaksigen Jungen, der so richtig finster guckt. Er trägt unter der Warnweste ein ausgeblichenes schwarzes T-Shirt mit Löchern in den Schultern, einen schmuddeligen Kampfanzug,

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