Bullet Catcher: Wade (German Edition)
hatte also eine ungefähre Vorstellung davon, wohin er fahren musste, allerdings waren die Straßen hier fast noch schlechter als auf Nevis. Kaum asphaltiert, wesentlich steiler und so schmal, dass er oft hart am Abgrund fuhr. Dazu war es stockfinster und nirgendwo ein Licht in Sicht.
Wade kurvte über die Insel, durch Haarnadelkurven, vorbei an eingezäunten privaten Anwesen und durch Hügel, in denen versteckt und unauffällig Restaurants und kleine Resorts lagen. Er schraubte sich auf einer Seite des Berges hoch und auf der anderen wieder herunter, wobei alles, was er sah, der sechs Meter weit reichende Lichtkegel seiner Scheinwerfer war.
In seinem Ohr klang immer noch Stellas verzweifelte Bitte: Sie müssen Vanessa sagen, dass sie auf keinen Fall hierherkommen darf .
Würde sie es trotzdem tun, um Stella zu retten? Wahrscheinlich. Um Clive zu finden? Ganz sicher.
Aber warum sollte sie es tun, ohne ihn in ihren Plan einzuweihen? Sie konnte das Restaurant unmöglich freiwillig verlassen haben; jemand musste sie entführt haben.
Furcht stieg in ihm auf und bereitete ihm Übelkeit. Wenn ihr etwas zugestoßen war …
Wade trat das Gaspedal durch, bis ihm sein Handy- GPS mit einem Warnton mitteilte, dass er die Zielkoordinaten erreicht hatte. Als er in die Dunkelheit spähte, entdeckte er ein großes Tor, das hinter Blattwerk und Gestrüpp verborgen war. Er hielt und wendete den Wagen, um die Scheinwerfer darauf zu richten. Vielleicht gab es eine Klingel oder ein Tastenfeld.
Er setzte das Auto rückwärts in das Gestrüpp und stieg aus, ohne die Scheinwerfer auszuschalten. Die Mauer, die sich an das Tor anschloss, war so zugewuchert, dass sie von dem Regenwald im Hintergrund kaum zu unterscheiden war. Gerade als Wade geduckt darauf zuging, auf der Suche nach einem Weg hinein, vernahm er plötzlich das Dröhnen von Hubschrauberrotoren.
Er erspähte den Helikopter und sah, wo er landete, rund eine halbe Meile oberhalb, an einem ziemlich steilen Abhang. Es war ein kleiner Robinson R22 oder 44, ein Zweisitzer, und definitiv kein großer Bell wie der, den er am Strand gesehen hatte.
Als Wade den Reißverschluss des Gitarren-Softbags aufzog und das Gewehr herausholte, durchströmte ihn Adrenalin wie eine belebende Sauerstoffdusche. Er schlich sich weiter an der Mauer entlang, auf der Suche nach einer Möglichkeit, nach drinnen zu gelangen.
Beim Krachen eines Schusses blieb er stehen. Nach ein paar Sekunden Stille ertönte langes, lautes, markerschütterndes Schmerzgeheul.
Wade gab die Suche auf und machte sich sofort ans Klettern.
Vanessa hielt die Arme in klassischer Nicht-schießen-Manier hoch, während Clive auf die Knie sank, sich mit Tränen im Gesicht über Bones neigte und dann ungläubig Russell Winslow ansah.
»Wie konntest du das tun?«
Für Vanessa hatte Russell Winslow schon immer ausgesehen wie ein Navy Seal aus dem Bilderbuch: groß, breitschultrig, mit Igelfrisur und kantigem Kinn. Heute Abend strahlte er zudem eine unverhohlene Mordlust aus.
»Wer so dumm ist, zu glauben, du wärst eine Million Dollar wert, verdient nichts Besseres als den Tod.« Er wedelte mit seiner Pistole. »Auf geht’s. Alle beide.«
Clive drückte Bones fester. Vanessa blinzelte und wünschte, sie könnte über den Lichtkegel des Scheinwerfers hinausblicken. Es war gerade noch zu erkennen, dass Blut aus Bones’ Bauch sickerte. Neben ihm lag seine Pistole.
»Los!«, befahl Russell erneut.
»Ich hab um dich geweint, du Scheißkerl.« Clives Stimme brach.
»Wie rührend, Kumpel, vielen Dank. Los jetzt.«
»Aber was sollte das ganze Täuschungsmanöver – wir treffen uns auf Nevis und das alles? Wenn du mich tot sehen wolltest, weil ich wusste, dass du Informationen preisgegeben hast, warum hast du mich nicht gleich umgebracht?«
»Ich brauchte Zeit, Mann. Zuerst musste ich dafür sorgen, dass man dich für Charlies Mörder hält, und dich dann in eine Falle locken, um dich – nachdem man mich für tot hält, versteht sich – loszuwerden und einen Selbstmord zu inszenieren. Und genauso wird es jetzt auch kommen.«
Russell war also derjenige gewesen, der in die Villa gekommen war, als sie und Wade sich unter dem Bett versteckt hatten. Warum hatte sie nur seine Stimme nicht erkannt? Nun ja, weil … sie ihn für tot hielt und nicht im Traum für möglich gehalten hätte, dass er es sein könnte.
Clive stand langsam auf, Bones’ Blut an den Händen und mit flackerndem Blick. »Aber ich habe um dich geweint «,
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