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Burakkuboru: Die kleine süsse Überraschung (German Edition)

Burakkuboru: Die kleine süsse Überraschung (German Edition)

Titel: Burakkuboru: Die kleine süsse Überraschung (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eduard Spiegel
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Monat nicht verstrichen
ist. Also entledigte ich mich jeglicher Hoffnung und sammelte, ja beinahe
„empfang“ „kosmische“ Geduld, denn nur sie würde mich auf den Beinen halten.
     
      In der nächsten Stadt, die meinen Weg kreuzte, besorgte
ich mir Landkarten, berechnete den optimalen Weg, der vorbei an Gebirgsketten
möglichst entlang der Strandlinie auf möglichst geraden und breiten und gleichzeitig
möglichst schönen Strassen führte … möglichst ohne herunterhängende
Felsbrocken, die man auf mich hernieder stürzen könnte, weit vorbei an aktiven
und passiven Vulkanen, möglichst über feste Brücken aus Stahl oder Stahlbeton,
die möglichst nicht hängend waren – denen habe ich am wenigsten vertraut. Dabei
hatte ich stets einen Baustellenhelm und eine Schwimmweste an. Wozu ich einen
Minifeuerlöscher und eine Sauerstoffflasche mitschleppte, hatte ich selbst
nicht ganz verstanden … ich nehme an, ich wollte meinem komischen Anblick
seriöse Lächerlichkeit beifügen.
     
      Als ich endgültig vorm Wasser stand, das ich überqueren
müsste, besorgte ich mir eine viermotorige Jacht mit viel Sprit, an der ich ein
einmotoriges Boot befestigte, in dem vier Paar Paddeln und zwei aufblasbare
Boote verstaut waren: ein größeres mit Aufblasautomatik und ein kleineres
Schlauchboot, das bloß eine intakte Lunge erfordert. Für den Fall der Fälle
befestigte ich an dem zweiten Motorboot einen aufgeblasenen Katamaran und einen
Rettungsring. Sollte all das den Geist aufgeben, würde mich, so hoffte ich,
wenigstens die Schwimmweste über dem Schwimmanzug retten – ich hatte mir extra
den dicksten übergezogen, der zu finden war...
     
      Ich will darüber schweigen, wie kurios diese Karawane aussah,
wie langsam es voran ging, wie beängstigend der offene See auf einem
menschenleeren Planeten war oder wie sehr ich im Anzug geschwitzt habe –
wichtig war nur, dass ich heil an der westjapanischen Küste angeschwommen bin,
ohne dass … na ja, ohne dass ich körperlichen Schaden davontrug. Ich bin aus
der Jacht auf das feste Land herausgesprungen, als würde sie in Flammen stehen
– musste mich vor Aufregung übergeben … was mir um einiges peinlicher war, als
die Lächerlichkeit meiner Aufmachung.
     
      Noch eine ganze Stunde lang zitterte ich am ganzen Körper
seltsamerweise bis zu dem Augenblick, als ich auf einem Wegweiser „neunzig
Kilometer bis nach Hiroshima“ las… Ich weiß nicht, wie ich meine Reaktion
deuten soll; vielleicht schämte sich mein Körper dafür, so schwächlich und
empfindlich gewesen zu sein, dass er in Anbetracht eines wahren Schreckens vor
Schamgefühl erstarrte, die eigenen „Sorgen“ vergas und sich die nächsten Paar
Tage für glücklich und zufrieden erklärte … eben bis die Stadt einen Tagesmarsch
hinter mir lag … dann hatte ich einen Grund mehr, nicht zurückzublicken…
     
      Zwölf Tage brauchte ich, um die unebene japanische
Landschaft zu durchqueren, bis ich die Stadt Aizu-Wakamatsu erreichte. Die Nähe
meines Ziels wurde spürbar und sogar sichtbar – überall konnte man den Kamikaze
auf Plakaten sehen. Einen Lageplan brauchte ich nicht mehr – der übrige Weg war
äußerst gut ausgeschildert. Überhaupt schien ich zum ersten Mal eine
Massenhysterie zu erleben, bei der die Massen gänzlich fehlten. Die Stadt sah
aus, wie eine Filmkulisse auf die später tausende tobende Menschen montiert
werden könnten, die vor einem grünen Hintergrund aufgenommen wurden… Eigentlich
war die „Maskerade“ doch ein wenig übertrieben – unglaubwürdig, die Aufregung
schwer nachvollziehbar – es ist doch nur ein Wagen … >fast< nur ein
Wagen… 
     
      Die letzten sechs Kilometer zu der freien Stelle außerhalb
der Stadt nicht weit entfernt von dem See Inawashiro lief ich auf einer Art
„rotem Teppich“ – die Strasse wurde durchgehend mit roter Farbe punktiert.
Verrückt: ich hatte mehr und mehr das Gefühl, dass die Stadt und der Wagen nur
mich erwarteten. So stand ich am Rande des mit großen Betonplatten frisch
gepflasterten Platzes und traute mich nicht auf das Feld, als wäre es vermint.
Erst lief ich drei Viertel des Kreises um den Platz, bevor ich mich langsam in
die Mitte traute. Dabei vergaß ich meine Beobachter vollkommen, kümmerte mich
nicht um die Wirkung meiner Unentschlossenheit … fing beinahe wieder an zu
halluzinieren … Menschenmengen, starke, flammende Reden, Sektempfang … denn es
wäre zuviel Ehre für mich allein.
     
      Der Kamikaze

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