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Burgfrieden

Burgfrieden

Titel: Burgfrieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Neureiter
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Begräbnis von Johannes dem Täufer zu sehen. Die Freske war weniger gut erhalten als die vorhergehenden, und dem Mann, der da zu Grabe getragen wurde, fehlte das Gesicht. Es war also die richtige.
    »Jetzt brauche ich mich bloß noch zu verneigen.« Jenny senkte den Kopf. Direkt vor sich sah sie massive Grabplatten, die in den darunterliegenden Boden eingemeißelt schienen. Genau unter dem gesichtslosen Johannes befand sich zwischen Grabstein und Mauerwerk ein Spalt. Und wenn sie sich nicht sehr täuschte, dann steckte da etwas drin, bei dem es sich durchaus um die Seiten eines Manuskripts handeln konnte.
    Lenz war immer noch in seine Überlegungen vertieft, als Jenny ihn am Ärmel zupfte.
    »Da vorne zwischen den Grabplatten ist etwas, das wie die Handschrift aussieht. Ich hole sie jetzt raus.« Lenz hielt das für keine gute Idee. Im Altarbereich der Kapelle, wo sich auch die Grabsteine befanden, war eine Videokamera installiert. Doch ehe er Jenny von ihrem Vorhaben abhalten konnte, war sie schon unter dem Absperrseil hindurch geschlüpft und fasste in den Mauerspalt.
     
    *
     
    In seinem Kämmerchen in dem an die Kirche angeschlossenen Dominikanerkloster biss Michele Emanuelo herzhaft in sein Panino. Seine Frau Rosa hatte es ihm heute Morgen wie an jedem Werktag zubereitet, dick mit Prosciutto und Pecorino, einem deftigen Ziegenkäse aus seiner Heimat Sardinien, belegt. So mochte er es am liebsten. Seit mehr als 30 Jahren versah er nun schon seinen Dienst als Wachbeamter bei den Dominikanern in Bozen. Nächstes Jahr würde er in Pension gehen, und mit Gottes Hilfe – er kreuzte Zeige- und Mittelfinger, das typische Zeichen, mit dem Süditaliener das Böse abwehren – sollten die letzten Monate seiner Amtszeit genauso ruhig verlaufen wie die vielen vorangegangenen. »Seine Kirche«, wie er sie stolz nannte, war bisher von Dieben und Vandalen weitgehend verschont geblieben. Einmal wäre es einer Bande beinahe gelungen, die beiden Engel, die sich links und rechts neben dem Kreuz im Altarbereich befanden, zu stehlen. Aber den Übeltätern konnte gerade noch rechtzeitig das Handwerk gelegt werden.
    Maledetti ladri! Verdammte Diebe! Kaum hatte er den Fluch ausgesprochen, bekreuzigte er sich auch schon. Das hätte ihm nicht passieren dürfen. Er konnte nur hoffen, dass sein oberster Arbeitgeber, der liebe Gott höchstpersönlich, gerade anderweitig beschäftigt gewesen war. Der konnte ja seine Augen und Ohren nicht überall haben. Im Gegensatz zu ihm selbst, zumindest, was die Augen betraf. Seit die Videokameras installiert worden waren, hatte er alles viel besser unter Kontrolle. So konnte er von seinem Beobachtungsposten aus das Treiben in der Kirche verfolgen, ohne dass er sich die Mühe machen musste, eigens deswegen den Gang vom Kloster in das Gotteshaus hinüber anzutreten.
    Seine Runden am Morgen und am frühen Abend, wenn er die Kirche auf- und später wieder zuschloss, ließ er sich freilich nicht nehmen. Ein wenig Bewegung konnte seiner Figur nicht schaden. Liebevoll tätschelte er seinen Bauch. Heute waren sie früh dran gewesen, die turisti. Gleich um halb zehn, kaum dass er das Tor aufgesperrt hatte, war schon ein Pärchen gekommen. Er ein Großer, Schlaksiger mit Jeans und T-Shirt, sie eine ganz Sportliche in kurzen Hosen. Sogar einen Fahrradhelm hatte sie dabei gehabt. Wenigstens hat sie ihn unterm Arm getragen und nicht auf dem Kopf. Das wäre Michele in seinem Gotteshaus nun wirklich nicht korrekt erschienen. So aber … Der Wachebeamte seufzte. Plötzlich nahm er auf dem Bildschirm eine Veränderung wahr. Aha, die beiden waren immer noch da, befanden sich jetzt in der Johanneskapelle. Der Mann schien wie versunken in die Betrachtung der Fresken, während die Frau eher hektisch wirkte. Ging ein Stück vor, kam wieder zurück, beugte sich über den Arm des Mannes. Jetzt sagte er etwas zu ihr, das konnte er daran erkennen, dass er die Lippen bewegte. Zu schade, dass es nur Bild und nicht auch einen Ton gab. Aber der hätte ihm sowieso nicht viel genützt – falls die beiden nicht zufällig Italiener waren. Auch nach so vielen Jahren in Südtirol konnte er kaum Deutsch und war keiner anderen als seiner eigenen Muttersprache mächtig.
    Sah ganz so aus, als würde der Mann etwas in der Hand halten. Vermutlich irgendeinen Prospekt von der Touristeninformation, in dem die Sehenswürdigkeiten beschrieben wurden. Wahrscheinlich las er ihr daraus etwas über die Kirche vor. Jetzt waren sie beide vor dem

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