Bushido
in mehreren Disziplinen gegeneinander antraten. Das ging weiter bis zu den Weltmeisterschaften. So ein Blödsinn. Da hatte ich ja gar keinen Bock drauf. Viel zu viel Stress. Mein Meister sah in mir jedenfalls sehr viel Potenzial. Kein Wunder, die anderen Azubis waren allesamt Idioten. Zugegebenermaßen war ich aber auch wirklich gut. Wenn ich mal ernsthaft mit einer Sache beginne, versuche ich darin immer so perfekt wie möglich zu werden. Das hatte nicht zwangsläufig etwas mit der Ausbildung als Maler und Lackierer zu tun, sondern ist eine Charaktereigenschaft von mir. Ich habe es schon immer gehasst, wenn Leute nur halbe Sachen machen. Wenn ich in der Schule ein Thema richtig interessant fand, bekam ich immer auch eine gute Note für meine Arbeit. Leider fand ich die Schule zu oft zu langweilig. Oder ich hatte die falschen Lehrer, keine Ahnung. Mein Meister legte jedenfalls großen Wert darauf, dass ich nicht immer die gleichen Arbeiten machte, sondern ließ mich die ganze Bandbreite erlernen. Das bedeutete, eine Woche Fußboden verlegen, eine Woche tapezieren, eine Woche Wände spachteln und so weiter. So wurde es nie langweilig. Natürlich konnte ich mir eine angenehmere Beschäftigung vorstellen, aber ich war ja nicht zum Spaß dort.
Ach, mein Meister war zwar ein harter Hund, aber immer korrekt. Ich mag ihn heute noch gerne, den Herrn Rafik Rolf Amrouche, obwohl wir uns damals leider nicht im Guten trennten. Im April 2008 traf
ich ihn nach sechs Jahren zum ersten Mal wieder. »Anis«, sagte er, »Respekt, was du aus deinem Leben gemacht hast. Ich wusste damals schon, dass in dir etwas Besonderes steckt. Auch wenn du das vielleicht nie so direkt mitbekommen hast, du warst für die anderen immer der Anführer. Sie haben auf dich gehört. An deiner Rolle hat sich also bis heute kaum etwas verändert. Mach weiter so. Ich bin stolz auf dich.«
Mein neuer Kumpel Patrick
Ab dem zweiten Lehrjahr machte mir die Ausbildung sogar ein bisschen Spaß, was aber hauptsächlich daran lag, dass ich einen gewissen Patrick Losensky kennenlernte. Er kam ein Jahr nach mir ins Heim. Jeden Montag trafen sich die Azubis in der Werkstatt und warteten auf den Wochenplan, den der Meister im Rotationsverfahren erstellte. Die Leute aus dem zweiten Jahr, so wie ich, bekamen einen Rookie zugewiesen, um den sie sich eine Woche lang zu kümmern hatten. Irgendwann war ich dann mit meinem Gesellen zufälligerweise auf der gleichen Baustelle, für die auch dieser Patrick eingeteilt worden war. Ich will nicht sagen, dass es Liebe auf den ersten Blick war, dafür war er viel zu hässlich, aber wir verstanden uns auf Anhieb und wurden beste Kumpels. Wir hatten den gleichen Humor, liebten die gleichen Dinge, interessierten uns für Hip-Hop und Graffiti und hatten den gleichen Lebensstil. Nachts gingen wir zusammen sprühen und tagsüber therapierten wir auf der Baustelle die anderen Azubis. Das war schon eine coole Zeit. Ferchichi & Losensky gab es ab sofort nur noch im Doppelpack. Patrick Losensky nannte sich später übrigens Fler. Ich bereue keinen einzigen Tag mit ihm. Er war ein prima Kerl.
Beim Arbeitsamt
Meinen ersten Besuch stattete ich dieser tollen Institution im Jahr 2001 ab, direkt nachdem mir vom Ausbildungsheim gekündigt worden war. Ja, genau: Mir wurde gekündigt! Aber ich wollte es so. Ich ging halt nur so lange in den Unterricht und zur Arbeit, bis ich zur Gesellenprüfung zugelassen wurde. Als ich die Anmeldebestätigung der Maler- und Lackiererinnung Berlin in meinen Händen hielt, sagte ich »Arschlecken« und machte endlich wieder mein eigenes Ding. Zum ersten Mal seit fast drei Jahren. Ich war schlau: Ich wusste, wenn ich erst mal zur Gesellenprüfung zugelassen worden war, würde man mich nachträglich nicht mehr ausschließen können, auch dann nicht, wenn ich in keinem Betrieb mehr arbeitete. Das fuckte meinen Meister natürlich richtig krass ab, weil er sich hintergangen fühlte und nicht wollte, dass sein bester Schüler die Flinte ins Korn wirft. Im Nachhinein tut mir das auch ein bisschen leid, weil er wirklich sehr enttäuscht war, aber es ging bei der Sache ja nicht um ihn, sondern um mich. Ich wollte meinem Meister keine auswischen, ich wollte meine Freiheit zurück. Ich sah einen legalen Ausweg und verschwand – ganz einfach! Die Prüfung bestand ich später ohne Probleme und bekam meinen Abschluss. Wichtig war mir aber auch, dass ich das Ehrenwort, das ich dem Richter gegeben hatte, nicht gebrochen
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