Bushido
unterhielten uns über Gott und die Welt. Wir hatten richtig lange Sitzungen, und ab und zu machte der Typ sogar ein Späßchen. Es kam mir auch nicht wie eine Strafe vor, mit ihm über mein Leben zu reden. Er musste ja ein Profil von mir erstellen, das war sein Job, also zeigte ich mich entsprechend kooperativ. Eines Tages, nach fünf oder sechs Sitzungen, präsentierte er mir schließlich sein Ergebnis. Ich war gespannt.
»So, dann wollen mir mal«, fing er an. »Lieber Anis, ich bin der festen Überzeugung, dass deine Mutter dich nicht korrekt erzogen hat. Sie trägt deswegen auch eine gewisse Mitschuld an der Tatsache, dass du ein Drogendealer geworden bist.«
Wie bitte? Hatte ich was verpasst? Wieso brachte der auf einmal meine Mutter ins Spiel? Er war doch sonst immer so cool gewesen.
»Was soll das denn jetzt?«, fragte ich total schockiert und sah schon meine Felle davonschwimmen.
»Nach unseren Gesprächen komme ich zu dem Schluss, dass deine Mutter es versäumt hat, dich verantwortungsbewusst zu erziehen«, fuhr er fort. »Du kannst dich deswegen in einer Gesellschaft nicht normal bewegen und hast nie gelernt, Autoritätspersonen zu akzeptieren.«
Okay, ich hatte verstanden. Der Typ wollte mich in die Pfanne hauen.
»Sag mal, willst du mich verarschen, du Vollidiot?«, fauchte ich und rutschte mit dem Stuhl ein Stück näher ran. »Nur weil ich Drogen verkauft habe, behauptest du, meine Mutter hätte mich nicht gut erzogen? Wer bist du, dass du dir ein solches Urteil über mich und meine Familie erlauben kannst?«
Solche direkten Worte war er wohl nicht gewohnt, er reagierte ziemlich hektisch und teilte mir mit, dass er sein Mandat niederlegen würde und ich auch nicht mehr zu kommen bräuchte. Das entsprechende Gutachten würde er dem Richter vorlegen und damit wäre für ihn die Akte »Ferchichi« geschlossen. Der Typ, der eigentlich da war, um mir zu helfen, ließ mich fallen wie einen nassen Sack. Wenn ich ehrlich sein soll, war ich sehr enttäuscht, denn mir wurde schlagartig bewusst, dass er mich in den vorangegangenen Gesprächen, die ich offen und ehrlich geführt hatte, die ganze Zeit angelogen hatte. In Wahrheit hatte ich bei ihm von Anfang an keine echte Chance.
Mein Richter
Der Tag des Gerichtstermins war gekommen. Der Staatsanwalt hatte mich auf dem Kieker, wahrscheinlich steckte er sogar mit dem Jugendgerichtshelfer unter einer Decke. Sie wollten unbedingt ein Exempel an mir statuieren. Ich hörte mir das Gesülze an und wartete, bis der Richter etwas zu dem Fall sagte. Auf ihn kam es ja an. Wir kannten uns schon aus der Vergangenheit, aber da ging es nur um kleinere Delikte wie Graffiti, Ruhestörung und Vandalismus. Ich war auf die Fragen des Richters gespannt, als er zu meiner großen Verwunderung plötzlich meinem ehemaligen Jugendgerichtshelfer das Wort erteilte. Ich hatte eigentlich gedacht, für ihn war das Kapitel »Ferchichi« bereits geschlossen. Ich drehte mich um und sah, wie er aufstand und sich nach vorn setzte. Dann legte er los: Ich wäre uneinsichtig und mit den üblichen Resozialisierungsmethoden nicht zu bekehren, meine Mutter hätte meine Erziehung sträflich vernachlässigt, ich wäre eine Gefahr für die Gesellschaft und so weiter und sofort. Er ratterte das volle Programm runter. Wie auch immer – ich war erledigt.
Nachdem in aller Ausführlichkeit dargelegt worden war, was für ein schlechter Mensch ich sei, rief mich der Richter zu sich nach vorn.
»Anis, Sie haben ja gar nichts«, meinte der Richter zu mir. »Abitur abgebrochen, keine Ausbildung, kein Praktikum absolviert, keinen festen Job – nichts! Was wollen Sie denn später mal machen?«
»Ich weiß es nicht«, meinte ich etwas verlegen.
Ich wusste es wirklich nicht.
»Was würden Sie denn machen, wenn Sie jetzt sofort nach Hause gehen könnten?«, fragte er.
Ich überlegte kurz, aber mir fiel nichts ein.
»Gar nichts«, erwiderte ich ehrlich und zuckte mit den Schultern.
Der Richter nickte, machte sich seine Notizen und ich durfte mich wieder setzen.
Der Staatsanwalt wollte mich einbuchten, das war klar. Der Richter hingegen wollte mich von der Straße wegholen. Ihm war es wichtiger, mich aus dem »gar nichts« herauszubekommen, als mir eine Bewährungsstrafe zu geben, die das Problem schließlich ja doch nicht gelöst hätte. Nach langer Diskussion einigten sie sich darauf, auch weil ich noch nicht vorbestraft war, mich in eine Jugendmaßnahme zu stecken. So kam ich in ein Ausbildungsheim
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