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Bushido

Bushido

Titel: Bushido Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Fuchs-Gamboeck , Georg Rackow
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existierte, ging sie nachts in Kreuzberg irgendwelche Gebäude putzen, direkt an der Grenze. Ich musste dann immer zu Hause auf meinen kleinen Bruder aufpassen. Der hatte die blöde Angewohnheit, immer dann in seine Windeln zu scheißen, wenn unsere Mutter nicht da war. Entsprechend laut war sein Geplärre. Damit die Nachbarn nicht mitbekamen, dass uns unsere Mutter nachts alleine ließ, musste ich ihm so schnell es ging neue Windeln anziehen, damit er aufhörte zu schreien. Dabei war ich selber kaum älter als er. Ich war neun Jahre alt, als mein Bruder auf die Welt kam. Meine Mutter ist auch nie zum Sozialamt oder zum Arbeitsamt gegangen, obwohl sie damals einen Anspruch darauf gehabt hätte. Sie konnte das nicht. Sie wollte für ihr Geld arbeiten. Eigentlich ist sie eine richtige Paradedeutsche, wie sich das die verlogenen Politiker immer wünschen. 15 Jahre später versucht das Finanzamt, mich in den Arsch zu ficken. Ironie des Schicksals.

Mein Bruder
    Für meinen Bruder war ich schon immer mehr als nur der große Bruder. Ich war vielmehr ein Vaterersatz, der auch mal laut wurde. Meine Mutter ist eben eine zu liebe Seele, als dass sie Ansagen hätte machen können. Ich übernahm das notgedrungen für sie. Zugegeben, er musste schon auch ein bisschen unter meiner Herrschaft leiden, aber was sollte ich machen: C’est la fuckin’ vie! Das ist halt das Los des kleinen Bruders. Wäre er mein großer Bruder gewesen, hätte ich die Arschkarte gezogen. So ist das Leben. Manche Dinge kann man sich nicht aussuchen.
    Im Endeffekt geht es ja nur darum, dass ich sein Bestes will, und zum Glück hat er das von Anfang an begriffen. Genau deswegen hört er auch auf mich. Obwohl wir Brüder sind und schon viel gemeinsam durchstehen mussten, haben wir letzten Endes doch ein eher distanziertes Verhältnis zueinander. Ob es daran liegt, dass wir verschiedene Väter haben, kann ich nicht sagen. Ich glaube aber nicht. Es liegt wohl eher daran, dass wir zwei vollkommen verschiedene Menschen sind, die in zwei Welten leben, die kaum Parallelen aufweisen. Obwohl wir Tür an Tür wohnen, sehe ich ihn so gut wie nie und rede auch fast nie mehr als zwei, drei Sätze mit ihm: »Wie geht’s dir? Gut? Alles klar? Hast du Probleme? Nein? Was macht die Schule? Hast du eine Freundin? Ja? Und läuft’s? Korrekt!«
    Trotzdem wissen wir beide, dass wir, käme es hart auf hart, alles füreinander machen würden. So wie die beiden Brüder in der Serie Prison Break. Wir müssen uns nicht jeden Tag in den Arm nehmen, von wegen »Wähhh, Bruderherz, lass dich knutschen« – das geht auch anders. An meiner »Goldfeier« im Herbst 2006 in Berlin habe ich ihm auch eine Goldene für Von der Skyline zum Bordstein zurück übergeben – mit den Worten: »Hier Kleiner, häng sie in dein Zimmer zu den anderen. Vielleicht kannst du dir damit ja endlich ein paar geile Ollen klären.« Wenn er tatsächlich mal über Nacht Damenbesuch hat, er-fahre ich das allerdings nicht von ihm, sondern von unserer Mutter, der alten Plaudertasche.
    Die meisten Leute glauben ihm auch nicht, wenn er erzählt, dass er mein Bruder sei. Er sieht mir halt überhaupt nicht ähnlich. Aber nicht nur sein Erscheinungsbild, auch sein Verhalten, seine Wünsche und Träume haben so gar nichts mit mir zu tun. Gerade hat er die Schule abgeschlossen, hat sein Abitur mit einem Durchschnitt von 2,8 gemacht und fängt demnächst zu studieren an. Die Schule war ja schon immer sein Ding. Er war Mitglied in der Theater-AG und solche Sachen. Was soll ich großartig dazu sagen? Wir haben eben unterschiedliche Ideen, was das Leben betrifft. Ist doch okay.
    Um sich ein bisschen Taschengeld zu verdienen, liefert er Pizza aus. Kein Scheiß! Er hat mich auch noch nie um Geld gefragt. Kein einziges Mal! Natürlich weiß er, dass ich ihm helfen würde, falls er mal wirklich in der Klemme stecken sollte, aber er besteht darauf, seinen eigenen Weg zu gehen. Wahrscheinlich um mir zu beweisen, dass er es auch ohne mich schafft. Das typische Kleine-Bruder-Syndrom eben. Die Art und Weise, wie er mit unserer Situation umgeht, finde ich auf jeden Fall korrekt. Er läuft auch nicht herum und macht einen auf cool, weil er mein Bruder ist. Er schiebt da eher eine ruhige Kugel. Zum Glück ist er so vernünftig und treibt sich an den Wochenenden nicht in den Discos herum, um mit meinem Namen irgendwelche Weiber in die Kiste zu kriegen. Erstens würde das eh nur Stress geben und zweitens könnte das für ihn auch sehr

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