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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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fügte er an, nachdem er eine Weile an seiner Pfeife genuckelt hatte.
    »Da waren viele«, meinte Herbert düster.
    »Nein, als Arzt, wenn ich mich richtig erinnere. Ging es nicht um Menschenversuche?« Nachdenklich fasste er sich ans Ohr. »Aber genau da ist so ein Knubbel. Kann sein, dass ich …« Er schüttelte den Kopf.
    »Menschenversuche?« Ich wurde hellhörig.
    »Naja, schon.«
    »In Auschwitz?«
    »Deshalb wurde er ja auch hingerichtet. Nach dem Krieg.«
    »Nein, Leander, der Butenschön, den ich meine, lebt. Nix Hinrichtung.«
    »Ach so?«
    »Ja, ganz sicher. Verwechselst du ihn vielleicht mit jemandem?«
    »Ich weiß es nicht«, wurde er nun völlig unsicher. »Wie gesagt, da ist dieser Knubbel …«
    »Wir sind ganz Ohr, Alter«, half Kurt und zwinkerte uns zu. Aber Leander schüttelte den Kopf. Keine weiteren Auskünfte für heute.
    So vertranken und vertratschten wir die Stunden. Der Tisch bog sich unter einer Armada leerer Bierflaschen, ergänzt um Tischfußball-Kurts Orangensaftgläser. Herbert, der Einarmige, versuchte Leanders Daumenkreisel nachzumachen, blieb aber mit dem vorhandenen Daumen dauernd an dem nicht vorhandenen hängen. Der jüngere unserer Bekannten trat beim Gang zum Klo Coppick derart auf den Schwanz, dass der ihn aus lauter Verzweiflung in den Zeh biss. Was er seit Jahren nicht mehr getan hatte. Von seinem Herrchen bekam er für diese Heldentat einen innigen Kuss auf die Schnauze.
    Irgendwann, leider schon zu recht vorgerückter Stunde, fiel mir ein, mich bei meinen Mitstreitern nach den derzeitigen Studentenprotesten zu erkundigen. Tischfußball-Kurt ging sofort in die Luft, schimpfte wie ein Rohrspatz über das arrogante Akademikerpack, diese Rotzlümmel in ihren Cordjacken und Fransenslippern, wenn er einen von denen sehe, werde er ihnen sofort Coppick auf den Hals hetzen, und wenn dann keine Ruhe sei, Hansen hinterher, und da sollten sie sich aber in Acht nehmen, denn im Vergleich zu Hansen sei Coppick ein echtes Schoßhündchen. Dafür bekam dann auch der überraschte Hansen seinen Schmatzer.
    Als Kurts Zorn verraucht beziehungsweise weggeknutscht war, meinte Herbert, er wisse auch nicht, was mit den Studenten los sei, alle paar Semester riefen sie zur Revolution, und in den Ferien führen sie dann nach Hause zu Mutti anstatt weiter zu revoluzzen. Schichtdienst sozusagen. Aktuell werde mal wieder demonstriert und besetzt und gestreikt, aber spätestens in den Prüfungswochen Anfang nächsten Jahres sei das erledigt.
    »Weißt du etwas von gezielten Zerstörungen im Lauf der Proteste?«
    Nein, wusste er nicht. Seit die Uni von den Studiengebühren lebe, sei ja alles von den Studenten bezahlt, und was sie selbst bezahlt hätten, würden sie wohl kaum kaputt machen, oder?
    »Das klingt logisch.«
    »Logisch klingt das logisch«, gähnte er. »Ob der Student allerdings heute noch lernt, logisch zu denken, kann ich nicht beurteilen.«
    »In Handschuhsheim ist man auch ziemlich sauer auf das Unirektorat. Von wegen Straßenbahn, Neckarquerung und so. Gibt es da Hitzköpfe, die zu illegalen Mitteln greifen könnten? Hier eine Scheibe einschmeißen, da ein paar Autoreifen platt stechen?«
    Achselzucken bei Herbert. »Autoreifen?«, runzelte Kurt die Stirn. »Was hat ein Autoreifen mit diesem Titten-Östrogen zu tun? Komischer Fall ist das.«
    »Also was nun? Kriminelle Energie bei den Interessenvertretern Handschuhsheims, ja oder nein?«
    »Nie im Leben! Die wissen doch gar nicht, was das ist, kriminell. Der Verein, in dem die sich organisiert haben, Pro Handschuhsheim oder so …«
    »Pro Hendesse«, verbesserte Herbert.
    »Genau, Hendesse. Man ist ja Patriot. Also dieser Verein, da kommen eh nur Spießer rein. Ein Kumpel von mir, der so Selbstverteidigungskram anbietet, wollte Mitglied werden, richtig einbringen wollte der sich mit Kursen und Training, falls es mal hart auf hart kommt   –   da haben die den nicht genommen!«
    »Standen wohl nicht auf Selbstverteidigung«, mutmaßte ich.
    »Arrogantes Gesindel«, winkte Kurt verächtlich ab. »Ein echter Fachmann, mein Kumpel. Aber nein, war ihnen nicht gut genug, und das nur, weil er den Hals tätowiert hatte. Spießer, ich sage es ja. Bleib mir weg mit denen!«
    »Pro Hendesse«, nickte Herbert und zeigte Richtung Tür. »Wenn ich mich nicht täusche, hängt da vorne ein Wisch von denen.«
    Der schöne Herbert hatte zwar nur einen Arm, dafür war er doppelt aufmerksam. Als ich gegen Mitternacht aufbrach, nahm ich aus dem

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