Butenschön
Eingangsbereich des Englischen Jägers einen Aushang der Interessengemeinschaft Pro Hendesse mit. Lesen konnte ich ihn nicht mehr, aber das machte nichts. Morgen war auch noch ein Tag.
Dieses E-Book wurde von der "Verlagsgruppe Weltbild GmbH" generiert. ©2012
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Ja, morgen war auch noch ein Tag, allerdings kein guter. Zumindest fing er schlecht an: mit einem Kaffeebecher, den ich beim Aufstehen samt Inhalt von der Bettkante fegte. Ich verfluchte Christine und ihre mütterlichen Anwandlungen, mich mit dem Duft frischen Kaffees sanft aus den Kissen locken zu wollen, anstatt mir einen Tritt zu geben oder mich gleich ganz in Ruhe zu lassen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass meine Ex bereits seit einer Stunde arbeitete, der Kaffee also kalt gewesen sein musste, als er sich über dem Boden verteilte. Kleiner Trost. Nach einer ausgiebigen Dusche war ich zur Hälfte wiederhergestellt; den Rest besorgte neuer Kaffee, den ich mir machte, der so stark war, wie ich wollte, und der nicht aus dem Bioladen stammte, sondern aus meinem Supermarkt. (Zu dem ich zwar mit Christines Auto fuhr, er lag schließlich in Frankreich, aber das stand auf einem anderen Blatt.)
Während ich frühstückte, versuchte ich Koschak zu erreichen. Schon gestern Abend hatte ich auf die Mailbox seines Handys gesprochen; unter seiner Festnetznummer meldete sich niemand. Noch nicht aus den Federn, Herr Journalist? Nach dem zwanzigsten Tuten gab ich es auf. Den Besuch bei Dörte Malewski verschob ich auf später, notierte mir aber ihre Nummer und Adresse aus dem Telefonbuch.
Plötzlich fiel mir etwas ein. Ich stürzte aus dem Haus, besorgte mir beim Bäcker um die Ecke ein Exemplar der Neckar-Nachrichten und blätterte es im Gehen durch. Nichts. Die verschwundene Edelnutte als Aufmacher, ein überlanges Interview mit drei Studentenvertretern, eingebettet in Unwichtiges aus der Lokalpolitik. Sogar der Brand im Technologiepark bekam ein paar Zeilen im Polizeibericht eingeräumt. Über meine Jahrhundertlesung dagegen keine Silbe. Wie lange brauchte diese Journaille eigentlich, um ihre Hymne auf den neuen Nachwuchsautor zu komponieren? Erst die Entdeckung, dass ich mich in guter Gesellschaft befand, stimmte mich etwas versöhnlicher: Auch Prof. Butenschön wurde heute mit keinem Wort erwähnt. Eine Schicksalsgemeinschaft, auf die ich den alten Herrn unbedingt persönlich hinweisen wollte.
Und zwar noch heute.
Verdammt, ich hatte völlig vergessen, was für eine Villenpracht die Panoramastraße beherbergte. Mit dem Schlosswolfsbrunnenweg oberhalb der Altstadt konnte sie nicht ganz mithalten, auch an der Bergstraße hatten sie noch ein paar Millionen mehr verklotzt, aber sehenswert war es allemal, was sich hier, an der Grenze zwischen der Südstadt und Rohrbach, dem staunenden Betrachter bot. Filigraner Jugendstil unter Tannendämmer, herrschaftliche Freitreppen, hier und da ein Jagdhausidyll. Nicht zu vergessen der Blick, dem die Straße ihren Namen verdankte. Vom nördlichen Schwarzwald bis nach Worms lag die Rheinebene entblößt da, und im Herbst konnte man den Pfälzern drüben bei der Weinlese zuschauen.
Auch bei der Villa Butenschön handelte es sich um so ein Jugendstilgewächs. Um die Fenster franste und rankte es, über der Eingangstür lächelte ein steinernes Jünglingshaupt das Elend der Welt hinweg. Vielleicht war es auch gar kein junger Mann, sondern eine Dame mit Östrogenmangel. Der Professor hatte an ihr herumgedoktert, und nun blieb ihr bloß ein verklärter Statuenblick. Ja, so lustige Gedanken machte ich mir, um bloß keine Nervosität aufkommen zu lassen. Immer schön frech bleiben, Max, auch hier.
Mit Schwung stieß ich das Gartentürchen auf – das heißt, ich wollte es aufstoßen, aber es war verschlossen. Der Knauf bewegte sich nicht, die Tür gab nicht nach, so sehr ich auch daran rüttelte. Albern! Über die hüfthohe Umzäunung hüpfte ein Modellathlet wie ich doch, ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen. War wohl eher so eine psychologische Hürde, das Ding.
Hüpfte ich? Nein, ich klingelte brav und wartete. Bei einem Haus von den Ausmaßen der Butenschönschen Villa konnte es dauern, bis man sich vom Turmzimmer zur Sprechanlage durchgeschlagen hatte. Aber irgendwann war es genug mit dem Warten. Ich klingelte ein zweites Mal, länger als zuvor. Gleich darauf meldete sich eine weibliche Stimme.
»Ja?«
»Mein Name ist Koller, guten Tag. Es geht um ein Interview, das ich gerne mit Professor
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