Butenschön
lesen? Lauter Analphabeten, oder was?«
»Quatsch! Die wollten das halt von mir hören. Frag mich bloß nicht, warum!«
»Die übliche Geschichte«, mischte sich der schöne Herbert ein. »Wenn den Leuten ein Buch gefällt, wollen sie wissen, wer dahintersteckt. Was der Autor für ein Mensch ist und so.«
»Marc Covet ist der Autor, nicht ich. Kein einziger Satz stammt von mir!«
»Aber du hast alles erlebt, du berichtest. Also sagen sich die Leser, den schauen wir uns mal an. Ob er wirklich so ist, wie er im Buch rüberkommt.«
»Trotzdem brauchen die sich dann nichts vorlesen zu lassen«, beharrte Tischfußball-Kurt finster. »Ist ja wie im Kindergarten.«
»Schreibst du jetzt noch eins?«, wollte einer der anderen wissen. »Ein zweites Buch, meine ich.«
Ich zuckte die Achseln. »Mal sehen. Wenn es sich ergibt.«
»Du könntest was über diese Edelhure schreiben, von der gerade alle reden. Das wär ein irres Thema. Superkrass wäre das.«
»Bist du vielleicht dran an dem Fall?« Kurt hob die Augenbrauen.
»Nein.«
»Zur Verschwiegenheit verpflichtet, was? Uns kannst du es doch verraten, Max. Wäre genau das Richtige für dich: schöne Frauen, schmierige Zuhälter, die hohe Politik …«
Herbert lachte meckernd. »Ich glaube, du solltest das nächste Buch schreiben, Kurti!«
»Schnauze!«
Kurts Dackel begannen unter dem Tisch zu knurren. Fanden die Vorstellung, ihr Herrchen könnte sich die kommenden Monate hinter einem PC-Monitor verkriechen, wohl auch nicht so lustig. Aber diese Sorge war unbegründet.
»Ich bin tatsächlich an einer Sache dran«, sagte ich nach einem letzten Schluck Bier. Marias Ersatz hatte mich jetzt im Blick, ich brauchte gar nicht mehr so auffällig mit der Flasche zu winken. »Mit dieser Nuttenstory hat sie allerdings nichts zu tun, bewahre. Ein ganz unspektakulärer Fall. Sagt euch der Name Butenschön was? Albert Butenschön?«
Kollektives Kopfschütteln. Nichts anderes hatte ich erwartet. Zwischen Professor Butenschön und dem Englischen Jäger lagen Galaxien. Dachte ich.
»Östrogen«, sagte jemand in aller Seelenruhe.
Wir starrten Leander an. Der in Würde ergraute Philosoph – er ist natürlich keiner, aber er wirkt so, und vielleicht ist er es ja doch – hatte die Hände gefaltet und ließ die Daumen kreisen. Weil er im Englischen Jäger kaum etwas anderes tut, als zufrieden an seinem Platz zu sitzen, auf einer kalten Pfeife herumzukauen und hin und wieder einen sinnfreien Satz von sich zu geben, übersieht man ihn leicht. Trotz seines Nikolausbartes. Und das ist ein Fehler.
»Östrogen«, wiederholte er, ohne unsere Blicke zu erwidern. »Isoliert von Albert Butenschön und seiner Frau Erika. 1939 Nobelpreis für Chemie. Ehrenbürger von Heidelberg.«
»Nicht schlecht«, nickte ich. »Wo holst du das her, Leander?«
Jetzt wandte er den Kopf und musterte mich mit seinen klaren blauen Augen. »Aus meinen Ohrläppchen«, erwiderte er ernsthaft. »Du weißt ja, bei der Operation damals ist ein Teil meines Großhirns draufgegangen. Seither müssen meine Ohren mitdenken. Butenschön und seine Östrogene sitzen genau hier.« Mit der Rechten griff er sich ans Ohrläppchen. Er hatte große, schöne Ohren, und für einen Moment war ich versucht, ihm zu glauben.
»Östrogen ist doch das, was die Weiber scharf macht«, zerstörte Tischfußball-Kurt die Idylle. »Was die Titten wachsen lässt, stimmt’s?«
»So ungefähr.«
»Siehst du: ein Fall für Max Koller. Ich wusste es ja.«
»Von wegen.« Ich bekam mein Bier, das noch besser schmeckte als das erste. »Es geht um einen Brandanschlag auf das Büro einer Doktorandin, die in gewisser Weise mit diesem Butenschön zu tun hat. Einzelheiten sind tabu. Ich wollte nur wissen, ob euch der Name des Mannes was sagt. Mir sagte er nämlich nichts.«
»Ist ja auch nicht unsere Generation«, meinte Herbert. »Wer vor dem Krieg den Nobelpreis erhalten hat, dürfte schon einige Jahrzehnte mit den Englein singen.«
»Denkst du! Der Mann wird diese Woche 100.«
»Butenschön?« Das war Leander.
»Ja. Wusstest du das nicht?«
Kopfschütteln. Typisch Leander. Namen und Fakten aus grauer Vorzeit angelt er bisweilen aus den entlegensten Hirnwindungen – oder Ohrläppchen –, wenn es jedoch um die Gegenwart geht, setzt es aus bei ihm. Hölderlin-Gedichte kann er seitenweise auswendig, aber frage ihn einer nach dem Weg zum Heidelberger Hölderlin-Gymnasium! Hoffnungslos.
»Der war doch in Auschwitz, nicht?«,
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