Butenschön
Kunst.«
»Hör auf! ›Der wahre Max Koller ist ganz anders, als man ihn sich nach Lektüre des Romans vorstellt.‹ Was soll denn diese Schülerprosa?«
»Ich find’s gut.«
»Ja, du!«, knurrte er. »Kaum Autor, schon eitel.« Brummend und murrend vertiefte er sich in die Lektüre des Artikels, der mit Lob für meine Darbietung nicht sparte. Meine Unbeholfenheit beim Vortrag des Texts sei, weil so authentisch, von ganz besonderem Charme und nur noch übertroffen worden von dem unerwarteten Anruf, möge der sich auch als geschickte Inszenierung erweisen. »Authentisch!«, höhnte Covet. »Das hat er von mir! Und was für ein Anruf?«
»Ein neuer Fall.«
Er wandte mir sein Gesicht mit all seiner Pharaonenbräune zu. »Ein neues Buch?«
»Nein, ein neuer Fall. Der bislang alles andere als spektakulär daherkommt.«
»Gut. Wir reden gleich darüber. Lass mich nur noch schnell …« Schon vertiefte er sich wieder in Frieders Geschreibsel. Lass es mich nur noch schnell auswendig lernen, Max. Wer war hier eitel? Marc würde sich die Zeitung unters Kopfkissen legen, so viel stand fest. Natürlich nicht die mit dem Kaffee drauf, sondern ein sauberes Exemplar. Zumal er selbst darin erwähnt wurde, wie es sich unter solidarischen Lokalredakteuren gehörte. ›Die souveräne textliche Gestaltung von Kollers turbulenten Abenteuern stammt übrigens von einem langjährigen Mitarbeiter unserer Zeitung …‹ Nun, ich gönnte es Marc, keine Frage. Auch wenn es das Wort ›souverän‹ nicht ganz traf.
Mittlerweile hatten wir die A 3 erreicht und fuhren Richtung Osten. Ich griff nach meinem Handy, um die Mailbox abzuhören. Linke Hand am Lenkrad, rechter Daumen auf den Telefontasten. Marc warf mir einen misstrauischen Seitenblick zu.
»Telefonieren auf der Autobahn? Warum hast du das nicht im Flughafen erledigt?«
»Weil ich dort beide Hände mit deinen Souvenirtaschen voll hatte. Und weil das Handy im Auto lag. Kannst du mal eben in den Vierten schalten, während ich ausschere?«
»Auf keinen Fall.«
Okay, die Mailbox war sowieso leer. Keine Rückmeldung von Koschak. Ich legte das Handy zurück, schaltete selbst und überholte den Kriecher vor uns. Wir hatten das Frankfurter Kreuz erreicht.
»Hättest du hier nicht abbiegen müssen?«, meinte Covet und zeigte mit dem Daumen nach hinten.
»Du wolltest doch etwas über meinen neuen Fall erfahren.« Ich nahm die nächste Ausfahrt, die uns auf die A 5 nach Norden führte. Vor uns wuchs die Skyline Frankfurts in den diesigen Novemberhimmel. »Und schon steckst du mittendrin. Seit vorgestern versuche ich, Kontakt zu einem gewissen Koschak aufzunehmen, der reagiert aber nicht. Sehen wir halt mal nach, ob er zuhause ist.«
»Ein Verbrecher?«
»Schlimmer. Ein Journalist.«
»Lokalredaktion oder Feuilleton?«
»Ausschließlich Titelseite. Einer von der investigativen Sorte.«
»Himmel, hilf.« Marc legte die Neckar-Nachrichten aufs Armaturenbrett, allerdings so, dass er Frieders Artikel im Blick hatte. »Und worum geht es?«
Der Name Butenschön war ihm natürlich bekannt. Wenn er Pech hatte – oder Glück, mein Fall interessierte ihn schließlich –, schickte ihn sein Ressortleiter zur Jubelfeier in die Alte Aula. Er hatte den Professor vor Jahren am Rand einer Veranstaltung im Krebsforschungszentrum getroffen, ihm aber nicht mehr als die üblichen Floskeln entlockt. Auch an die vor 20 Jahren aufkeimenden Vorwürfe erinnerte er sich. Und an die Teilrehabilitation durch den Kommissionsbericht.
»Mir hat der Kerl noch nie imponiert«, meinte er wegwerfend. »Seine ganzen Verdienste als Forscher, schön und gut. Aber wenn einer nach 1945 lauthals tönt, Wissenschaft habe mit Politik grundsätzlich nichts zu tun, und gleichzeitig Wissenschaftspolitik aus dem Lehrbuch betreibt, dann frage ich mich, wen er damit verarschen will: seine Mitbürger oder doch eher sich selbst?« Er gähnte. »Angeblich hat ihm das Alter ein Fünkchen Weisheit geschenkt, so dass er auf seinen früheren Standpunkten nicht mehr stur beharrt. Heißt es! Obs wahr ist, weiß Butenschön allein.«
Ich nahm die Ausfahrt Niederrad, noch bevor wir den Main erreicht hatten, und steuerte Goldstein an, einen Vorort im Frankfurter Südwesten.
»Hier wohnt er?«, wollte Covet wissen.
»Der Journalist, ja. Er heißt Koschak, ist Freelancer und immer auf der Suche nach der großen Story. Im aktuellen Fall der Verbindungsmann nach Russland.«
»Und was genau willst du von ihm?«
»Vor allem
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