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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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hielt, auch bei den schlimmsten Verbrechen? Nibelungentreue bis zum Untergang? Das war widerlich und sonst nichts. Ich stand auf und ging zum Fenster. Da hatte doch vorhin einer so blöd gehupt. Es war acht Uhr, die Leute genossen längst ihren Feierabend, aber nein, der Typ dort unten musste sich aufspielen und seine Mitbürger von der Straße hupen! Bestimmt auch einer dieser Elitedeppen, die sich für etwas Besseres hielten. Und wenn er von der Polizei erwischt wurde, bekam er von irgendeinem adligen Großkotz einen Persilschein ausgestellt.
    »Ja, die Freiherren«, moserte ich, mit dem Gesicht zur Scheibe. »Ich bin so frei, Herr Freiherr.«
    »Alles klar, Max?«
    »Alles klar, Schatz.« Keinen Blick gönnte ich ihr, meiner politisch korrekten Ex!
    »Butenschön«, nahm Evelyn Deininger den Faden wieder auf, »hatte natürlich gute Gründe, seinen Kumpel so spektakulär reinzuwaschen. Es galt, die zusammengebrochene deutsche Wissenschaft neu zu organisieren, und da gehörte ein Otmar von Verschuer seiner Meinung nach dazu. Wie so viele andere, die in ethisch-moralischen Grauzonen operiert hatten. Sie dürfen nicht vergessen, dass dies gängige Praxis in der jungen Bundesrepublik war. Den Leuten eine neue Chance geben, sie zu Demokraten machen   –   so verfuhr Adenauer auch.«
    »Deshalb habe ich den nie gewählt«, knurrte ich und drehte mich um.
    Sie schlug die Beine übereinander. »Natürlich ist das eine zweischneidige Sache: Soll man belastete Personen ausgrenzen oder integrieren? Wo verläuft der Königsweg? Denken Sie an unseren Umgang mit den ehemaligen Stasizuträgern in Ostdeutschland. Auch da hat niemand ein Patentrezept, fürchte ich. Verschuer galt eine Zeitlang als Persona non grata, irgendwann aber bekam er doch noch seinen Lehrstuhl, Butenschön sei Dank. Dass all diese Leute mehr über Auschwitz wussten, als sie zugaben, ist wahrscheinlich, sogar sehr wahrscheinlich. Bloß nachweisen lässt es sich nicht.«
    »Natürlich nicht! Es ist immer das Gleiche: Niemand will etwas gewusst haben. Es gab keine KZs in Deutschland, keine Hinrichtungen, Hitler hat alle Autobahnen gebaut, und als die Silbersterns nebenan plötzlich weg waren, dachten wir, na, die machen bestimmt Urlaub im schönen Palästina.«
    Knödelchen strich sich eine ihrer dünnen Strähnen aus der Stirn und schenkte mir ein leises Schmunzeln. Was war denn jetzt schon wieder los? Hatte ich etwas Dummes gesagt? Ich meine, was gab es bei diesem Thema zu schmunzeln? Auf diese wissenschaftliche Überheblichkeit verzichtete ich gerne.
    »Ist was?«, blaffte ich.
    »Nein, Sie haben völlig recht, Herr Koller.« So, hatte ich das? Warum verschwand dann dieses Grinsen nicht aus ihrem Gesicht? »Sie haben recht, aber es ist ein ziemlich hoher moralischer Maßstab, den Sie da anlegen. Nicht wissen, nicht wissen wollen, verdrängen, wegschauen   –   zwischen diesen Verhaltensweisen gibt es fließende Übergänge, und das betrifft uns genauso wie frühere Generationen. Uns vielleicht noch viel mehr, schließlich leben wir in einer Informationsgesellschaft. Zum Beispiel wissen wir, dass China ein Unrechtsstaat ist, in dem permanent Menschenrechte verletzt werden. Trotzdem führen wir massenweise Produkte aus China ein und erhalten damit das System. Wir wissen es, aber wir handeln nicht danach. Das Gleiche gilt für Kinderarbeit in Fernost, die wir mit jedem T-Shirt aus dem Discounter unterstützen. Soll keiner sagen, er habe nichts davon gewusst.«
    Statt einer Antwort verschränkte ich die Arme vor der Brust und zog einen Flunsch. Was sollte ich auch erwidern? Natürlich kaufte ich nur die billigsten T-Shirts, in meiner Situation blieb mir gar nichts anderes übrig. Arbeiten in Deutschland, Kleider aus Bangladesch. Die Chinesen hatten bisher noch kaum von mir profitiert. Sicher, es gab inzwischen auch Bier aus China, und angeblich schmeckte es gar nicht so übel. Ich trank es trotzdem nicht.
    »Die Frage, wer wie viel gewusst hat«, ging Knödelchens Vortrag weiter, »lässt sich auch im Fall Butenschön nicht endgültig klären. Er selbst hatte mit den Forschungen der Anthropologen nichts zu tun. Aber als Verschuer 1944 einen Biochemiker für seine Versuche benötigte, stellte Butenschön einen Mitarbeiter aus seinen Reihen ab. Jetzt wurde der auf das Humanmaterial aus Auschwitz angesetzt. Man kann davon ausgehen, dass er sich mit seinem Chef darüber austauschte. Und mit Sicherheit hat Butenschön gefragt, woher die Proben stammten. Es war

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