Butenschön
des Kriegs und als Opfer der Nazis. Erst verweigerten sie ihm die Annahme des Nobelpreises, und nun litt er ihretwegen unter dem Vorwurf der Kollektivschuld.«
»So ein Opfer möchte ich mal sein!«, lachte ich.
»Aus heutiger Sicht sagt sich das leicht. Natürlich konnte ein Albert Butenschön die Opferperspektive nur einnehmen, indem er alles andere ausblendete. Aber das tat jeder, der ausgebombt war, der einen Verwandten an der Front verloren hatte, der Hunger litt.«
»Butenschön litt keinen Hunger.«
»Das stimmt. Ihm ging es vergleichsweise gut nach dem Krieg. Er hatte eine Professur, eine Unterkunft, die Forschungsgelder flossen reichlich. Objektiv gesehen, gab es keinen Grund, sich zu beklagen. Er ist dann ja auch ein guter Demokrat geworden, wenn man so will. Von seinen früheren Ansichten hat er sich, wenn auch behutsam, distanziert. Dass er sich zum Beispiel gegen das Mensurschlagen aussprach, brachte ihm richtig Ärger mit seiner Verbindung ein. Und in einem Fernsehinterview gab er zu, dass sein Verhalten im Dritten Reich nicht korrekt war. Immerhin.«
Immerhin, ja! Ein paar Brosamen der Reue, die der Professor und Ehrenbürger aus dem obersten Fenster seiner Villa für alle Gutmenschen auf den Gehweg streute. Mir reichte das nicht, ich war eben kein distanzierter Wissenschaftler, der alles differenziert sah, sondern es kotzte mich an, wenn sich einer in all seiner Sattheit und seinem Erfolg fläzte und ihm der Weg, wie er dorthin gelangt war, einen feuchten Kehricht interessierte. Was war eigentlich mit meiner Ex, wo blieben ihre Einwände und Bedenken und der moralische Zeigefinger, den sie sonst bei jedem Hauch einer bösen Tat erhob? Aber nein, ruhig saß sie da, schlürfte ihren Tee, stellte ein paar Nachfragen und signalisierte Knödelchen durch ihr ganzes Verhalten, wie wohltuend subtil sie deren Vortrag fand. Weiber! Mich hatte sie auch schon eingelullt mit ihrem blöden Rooibosgesöff, mir fielen keine Entgegnungen mehr ein, nur noch spektakuläre Methoden, wie ich die Butenschöns dieser Welt ins All beamen könnte. Konstruktiv waren diese Ideen nicht zu nennen. Vielleicht sollte ich es doch lieber mit Nuttenstorys probieren.
»Wolltest du etwas sagen, Max?«, fragte Christine.
Ich schüttelte den Kopf und kippte meinen Tee auf einmal hinunter. Dass ich mir dabei den Rachen verbrühte, war mir egal.
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13
»Bitteschön, Herr Urlauber!« Ich knallte Marc Covet die neueste Ausgabe der Neckar-Nachrichten aufs Armaturenbrett. Kurzzeitig kam Christines Wagen von der Ideallinie ab, während wir uns durch die kreisrunde Parkhauszufahrt nach unten schraubten.
»Ist er drin?«
»Lokalteil.«
»Nicht im Feuilleton?«, maulte Marc. Die Redakteure des Feuilletons waren seine Lieblingsfeinde. Was sie zusammenschrieben, gehörte in Wahrheit in den Lokalteil, während er, Marc, der einzige, echte Feuilletonist war. Der es aus Stolz, Trägheit und Patriotismus nie in die Kulturredaktion geschafft hatte, zumindest nicht dauerhaft. Und weil Feindschaften gepflegt sein wollten, hatte er sich eine schön schlechte Rezension unseres Buches gewünscht, über die es sich so richtig herziehen ließ. Am besten im Chor mit sämtlichen Lokalredakteuren. Enttäuscht blätterte er vor und zurück.
»Seite 5.«
»Da ist ein riesiger Kaffeefleck.«
»Und unter ihm der Artikel. An dem Fleck bist du schuld, weil ich dich so früh abholen musste. Denn weil ich dich so früh abholen musste, musste ich den Kaffee im Auto trinken. Da ist es passiert. Bei einer Vollbremsung.«
»Heul doch. Was glaubst du, wann ich heute Morgen …?« Er stöhnte auf. »Der Frieder! Ausgerechnet der Frieder. Der von Literatur so viel Ahnung hat wie ich vom Kickboxen. Da hätten sie gleich den Lothar schicken können.« Lothar war Sportredakteur und Marcs Zimmernachbar.
»Dafür fällt kein kritisches Wort. Ist doch super.«
»Eine echte Rezension wäre mir lieber gewesen.«
»War es nicht Lothar, der sich beschwert hat, dass wir ihm im Buch eine falsche Vokabel in den Mund legen? Weil es beim Rugby keine Torpfosten gibt, sondern diese anderen Dinger?«
»Malstangen.«
»Genau. Der hätte sicher noch mehr Haare in der Suppe gefunden. Und die vom Feuilleton erst recht.«
»Aber so ein Befindlichkeitsbericht von einer Lesung … nee, das ist nicht das, was ich mir erhofft habe.«
»Besser als ein Verriss nach allen Regeln der
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