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Butenschön

Butenschön

Titel: Butenschön Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcus Imbisweiler
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Drohkulisse. Auch der Hanno der Ganzliebe war dabei, nachdem er seinen Hosenstall endlich geschlossen hatte.
    »Schon gut«, hörte ich einen Mann rufen, der über die Straße geschlendert kam. »Macht mal halblang, Jungs.« Er hatte eine Stirnglatze, viele Falten im Gesicht und trug eine Latzhose unter seiner Jacke. Von der Meute als Dieter begrüßt, bekam er die Flasche angeboten und nahm gleich einen Schluck. »Lasst den Mann in Ruhe. Wenn er keinen Bock auf Kerwetraditionen hat, kann man nix machen.«
    »Ich habe nichts gegen Kerwe«, sagte ich. »Nur dass man mich vom Rad holt, finde ich scheiße.«
    »Ja, ich hab’s vom Fenster aus gesehen. Die Jungs sind manchmal ein bisschen übermotiviert, das müssen Sie verstehen. Ist ja nur einmal Kerwe im Jahr.«
    Ich zuckte die Achseln. Natürlich war nur einmal Kerwe im Jahr. Was sollte das heißen? Dass die Schnakenbacher Dorfjugend die restlichen 362 Tage über Däumchen drehte und abstinent lebte? Man musste sich doch warmtrinken vor dem großen Ereignis, den Schlagbaum ausprobieren, den Schnaps testen. Fußball wurde ja auch jeden Sonntag gespielt, noch im kleinsten Odenwaldkaff. Und Fußball bedeutete Durst.
    »Also, Jungs, lasst den Mann fahren und macht das nicht noch mal.« Er wandte sich an mich. »Nichts für ungut, ja? Und wenn Ihnen das mit der Sammelbüchse zu blöd ist, übernehme ich es.«
    »Quatsch«, zürnte ich. Jetzt auch das noch!
    »Da kommt wieder einer«, rief einer. Um die Kurve schlich ein silberner Mercedes, ein älteres Ehepaar darin, Heilbronner Kennzeichen. Verblüfft hielten sie vor dem Schlagbaum. Die Traditionsmaschinerie rollte an: Man verteilte sich, das Dickerchen schlurfte zur Fahrertür, ein anderer brachte die Büchse, durchs Fenster wurde ein Schein gereicht, worauf ein schriller Pfiff aus der Trillerpfeife ertönte und sich der Schlagbaum hob. Als Zugabe flog dem Benz ein Liedchen hinterher.
    »Auch Tradition?«, wollte ich wissen.
    Der Mann in der Latzhose nickte. »Wer spendet, kriegt ein Lied mit auf den Weg. Fußgänger müssen den Kerwegroschen übrigens auch zahlen.«
    »Dann her mit der Büchse«, knurrte ich und kramte zwei Eurostücke aus dem Geldbeutel.
    »Geht doch«, grinste der Eintreiber mit der Büchse. »Jetzt noch’n Friedensbier, wie wärs?«
    Hanno stellte sich neben ihn, eine Flasche in der Hand, so recht auf Versöhnung gestimmt. »Muss doch durstig machen, diese Rumfahrerei.«
    »Meinetwegen. Aber nur, wenn Sie mittrinken.«
    »Gerne«, grinste Dieter. »Hab ja selbst oft genug am Schnakenbacher Schlagbaum gestanden und abkassiert.«
    Und so wurde ich eine halbe Stunde lang Zeuge ländlichen Festtumbrauchs oder wie man das Zeug nennt. Autofahrer kamen und gingen, und jedes Mal, wenn sich der Schlagbaum nach oben bewegte, klingelte es in der Schnakenbacher Sammelbüchse. Fußgänger mussten zum Kerwegroschen einen Schluck aus der Schnapspulle nehmen, Fußgängerinnen wurden ganz besonders eng umlagert. Die dümmsten Sprüche ernteten die größten Lacher. Ein am Straßenrand abgestellter Bierkasten leerte sich wie von selbst. Von meinem Mittrinker, der neben mir auf einem Mäuerchen saß, ließ ich mir die Gepflogenheiten der hiesigen Kerwe erläutern, auch wenn sie mich nicht besonders interessierten. Das mit dem Mittelalter war natürlich Quatsch, Kerwegroschen und Schlagbaum waren eine Erfindung des 20. Jahrhunderts, doch das juckte keinen. Nicht, solange es genug zu trinken gab.
    »Gestern Abend habe ich mich mit einem aus Schnakenbach unterhalten«, ließ ich irgendwann einfließen. »Michael Deininger, kennen Sie den?«
    »Deininger? Aber klar, den kennt hier jeder. Wo haben Sie ihn denn getroffen?«
    »In einer Kneipe, zufällig. Wir kamen ins Gespräch, da sagte er mir, dass er von hier sei. Hat mir regelrecht den Mund wässrig gemacht mit seinen Erzählungen. Da dachte ich, wenn ich schon in der Gegend bin, schaue ich mir sein Dorf mal an.«
    »Der Michael, ja, das ist ein feiner Kerl. Der lässt sich heute oder morgen auch noch hier blicken. Ist ja erst ein paar Jahre her, dass er den Kerwegroschen eingesammelt hat.«
    »Und seine Frau, die Evelyn? Hat die auch mitgemacht?«
    Dieter nickte. »Klar. Also nicht am Schlagbaum, das ist Männersache. Die Mädels schmücken jetzt den Dorfgemeinschaftsraum. Da wird aber auch getrunken, und nicht zu knapp. Natürlich war die Evelyn dabei. Sie und der Michael, die waren ja schon immer ein unzertrennliches Paar. Obwohl …« Nachdenklich wiegte er den

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