Butter, Brot und Laeusespray
«Einkaufen» durchgestrichen. Gewiss ist dies nur ein banaler Fauxpas. Natürlich muss eingekauft werden – umsonst ist nur der Tod. Und weil die Aufregung gar zu groß war, die Schreibkraft A (Trauzeugin? Beste Freundin der Braut?) nervlich nicht in der Lage, die Einkaufsliste ordnungsgemäß zu Ende zu führen, übergab diese nach zwei Dritteln den Kuli an Schreibkraft B. Auch in Bs Handschrift ist die Nervosität spürbar, die Schriftlage schwankt, die graphische Bereicherung verrät jedoch den Gestaltungswillen; gerade die luftballonesken i-Punkte lassen vermuten, dass wenigstens alle Deko-, Schmink- und Garderobenfragen bei Schreibkraft B in besten Händen sind. Wir lernen also, dass die Blumenmädchen Laura und Fabi mit sauberen Zähnen zu Werke gehen sollen und dass die Brautbeine in reiner Seide stecken. Oder trägt der kinky Bräutigam die Strumpfhose? Eher nicht. Schließlich ist dieser Zettel sogar signiert, und zwar von Schreibkraft B(ebe, pinke Schrift). Sicher, die zwei Handschriften können natürlich auch auf eine Persönlichkeitsspaltung zurückgeführt werden. Man soll nie Schizophrenie sagen, hätte ich fast gesagt. Aber das war gar nicht ich. Hä? Ist da wer? Schreibt da noch wer an diesem Buch? Halllooo! Wer schreibt denn da? Ich? Nein, ich! Wer ist «ich»? Etwa ich? Hilfe, husch-husch weiter zum nächsten Zettel.
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Jetzt wird’s höflich. Nicht wenige Einkäufe werden von Fremdpersonal erledigt – mal ist’s der Gatte, mal die Tochter oder der Hausangestellte, und oft merkt man dies einem Zettel an –, sei es, weil er besonders instruktiv und leserlich verfasst ist, sei es, weil er eine Dankesformel beinhaltet oder, wie im vorliegenden Beispiel, ein Bitte-bitte. Die Handschrift verrät das fortgeschrittene Alter der Verfasserin. Besonders das Q in Quark ist gestrig, handelt es sich doch eigentlich um ein Sütterlin-Q, wie es jeder deutsche Abc-Schütze bis zum N S-Schrifterlass 1941 erlernte, in dem die «Deutsche Volksschrift» durch die (lateinische) «Normalschrift» ersetzt wurde. Also erlaube ich mir anzunehmen, dass die Autorin dieses Zettels vor Kriegsbeginn eingeschult wurde, sie mithin mindestens 80 Jahre alt ist. Die Bittformel könnte sich an einen Helfer richten, etwa einen Familienangehörigen oder einen Mitarbeiter des Bundesfreiwilligendienstes. Und weil der Seniorin gepflegte Umgangsformen offenbar wichtig sind, schickt sie den beiden Bittes gleich noch den doppelten Komparativ hinterher: «2 × Bitter». So klappt’s auch mit dem Bufti.
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Neben Bitt- und Dankesformeln stellen manche Einkaufslisten dem Marktgänger eine Belohnung in Aussicht; ist diese detailliert formuliert, kann der Zettel sogar den Charakter eines Arbeitsvertrages annehmen. Im vorliegenden Beispiel wird die erbrachte Tätigkeit in besonders weicher Währung vergolten, nämlich in «Bussi». Der Laie staunt, der Kenner wundert sich: Cappo, Toast, Joghurt, Schokolade, Salat, Katze, Traubensaft – eine ganze Tüte Grundversorgung für einen einzigen Bussi? Lohndumping! Skandal! Hier wird jemand von einer Dame, die sich offenbar im Besitz geeigneter Produktionsmittel befindet, gnadenlos über den Tisch gezogen. Der arme Tropf ist der weiblichen Marktmacht gnadenlos ausgeliefert und hat keinerlei Verhandlungsspielraum. Ein Bussi pro Botengang – das ist kaum mehr als Luft und Liebe; Marx und Engels drehten sich im Grabe um. So jedenfalls scheint es. Aber steckt hinter dem schnöden Schein, dem billigen Bussi, nicht etwas ganz anderes? Der Kenner wird bereits bei «Cappo» hellhörig. Gewiss, viele Leute kürzen fälschlicherweise Cappuccinoso ab, aber wir sollten auch daran denken, dass im Da-Capo-Verlag die englische Taschenbuchausgabe des Kamasutras erschienen ist. Überdies lässt die herausgehobene Position der Erdbeermarmelade stutzen. Kinski und Villon stecken in dieser Passage, «Ich bin so wild nach deinem Erdbeermund/ich schrie mir schon die Lungen wund/nach deinem weißen Leib». Spätestens hier wird die erotische Spannung dieser Liste nahezu unerträglich. Dann folgen Bussi plus subpornographischer Illustration, ehe wir zum Höhepunkt gelangen: «Laminatpflege?» steht unterm Strich, quasi hinter den Supermarktregalen, im Séparée, im einkaufszettlerischen Darkroom. Aha, verstehe! «Bussi» ist nur der kleine Vorschuss, in Wirklichkeit geht es um harten, heißen, sinnlichen, scharfen, geilen Sex auf dem blanken Parkettboden. Diese Notiz ist ein Zeugnis ungezügelter
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