Butter, Brot und Laeusespray
ruhig, Wigald, erst mal sammeln. Tief durchatmen. Bisher handelte es sich ja lediglich um graue Theorie, und doch …
Daheim konsultierte ich allerlei Fachliteratur und versenkte mich insbesondere in die Geschichte des Eszetts. Das heute bekannte «ß» wird erst seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verwendet und wurde von der orthographischen Konferenz von 1901 zur Norm erklärt. Vorher drückte man den scharfen s-Laut durch die Buchstabenfolge f-s aus, oder man verschmolz f und s zu einer sogenannten f/s-Ligatur. Außerdem erfuhr ich, dass die Donauschwaben, die ab 1723 in das Gebiet des heutigen Rumänien auswanderten, nach dem Ersten Weltkrieg Minderheitenrechte genossen, und in ihren Siedlungsgebieten wurden daraufhin deutschsprachige Schulen eröffnet. Im Zweiten Weltkrieg war Rumänien zunächst Verbündeter Hitler-Deutschlands, 1944 wechselte man jedoch dieSeite, der Niedergang der deutschen Volksgruppe begann, und viele Donauschwaben flüchteten in den Westen. Die vielen Rechtschreibfehler weisen darauf hin, dass die Verfasserin dieses Zettels ihr Deutsch nicht auf einer Schule, sondern bei ihren Eltern erlernte, f/s-Ligatur inkludiert, und diese Eltern bei ihren Eltern, die bei ihren, die bei ihren; vielleicht wurde die Schreiberin, wie viele andere, nach Kriegsende ins Donaudelta oder in die Sowjetunion deportiert und kam erst über Umwege nach Lechbruck, wo sie im Siebenbürgerheim ihren Lebensabend genießt und Einkaufszettel in der Typographie des 18. Jahrhunderts verfasst.
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In der schönen Stadt Nîmes in Südfrankreich habe ich eine Sammlerkollegin, die von mir hochgeschätzte Kunstlehrerin Clémentine Mélois. Auch Clémentine hat in den letzten Jahren viele wunderbare Notiz-Preziosen zusammengetragen, und gerne tauschen wir uns darüber aus, ob es grundlegende Unterschiede zwischen französischen und deutschen Einkaufszetteln gibt, und wenn ja, welche. Zunächst einmal mussten wir beide feststellen, dass die Deutung eines Zettels für einen Nicht-Muttersprachler unerhört schwierig ist. Bereits die grundlegende Festlegung, ob es sich beim Verfasser um eine Frau oder um einen Mann handelt, gelingt kaum, und die Einschätzung des Alters anhand der Schrift wird in der Fremdsprache zum Glücksspiel. Von der Zuordnung eines soziologischen Hintergrundes sollte man als Ausländer am besten gleich die Finger lassen. Eine Eigenart französischer Einkaufszettel lässt sich allerdings festhalten: Weit häufiger als bei uns werden Wochenpläne notiert, aus denen hervorgeht, was an den Wochentagen zubereitet wird – wenn überhaupt gekocht wird. Überraschend insofern, als dass wir Deutsche uns bekanntlich für besonders organisationswütig halten. Das vorliegende Beispiel fand ich auf einem Supermarktparkplatz in der Stadt Cannes. Der Verpflegungsplan für die kommende Woche sieht vor: Montag McDonald’s, Dienstag Casino (französische Supermarkt-Kette), Mittwoch kein Casino, Donnerstag McDonald’s, Freitag Casino, Samstag und Sonntag unklar, Montag McDonald’s. Russisches Roulette kann mit einem Loch im Kopf enden; das hier beschriebene französische Roulette füllt das Loch im Bauch. Puh, wenn Sie wüssten, wie lange ich an diesem Dingsbums, ich nenne es einmal: Bonmot, gefeilt habe. Satte zweieinhalb Stunden. Ich wollte unbedingt Roulette (wegen «Casino») und ungesunde Ernährung in einem Satz unterbringen. Hab auf dieser halbgaren Idee ganz schön lang rumgekaut. Dann lag sie mir schwer im Magen, und jetzt habe ich Hunger. Warten Sie mit der weiteren Lektüre noch eine Minute, ich esse einen Happen und bin gleich wieder da.
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Mallorca. Insel der Reichen, der Schönen, des Glücks. Im Gewerbegebiet Maratxi, nordöstlich der Hauptstadt Palma, befindet sich Alcampo, einer der größten Supermärkte Europas. Angeblich tragen die Angestellten dort bei der Arbeit Inlineskates. Hab’s persönlich bei meinem Besuch nicht verifizieren können, aber die Mammutbude ist vielleicht auch einfach zu groß, alle Leute grundsätzlich zu weit weg, um derlei Details begutachten zu können. Das Angebot ist enorm, namentlich die grillfertig eingeschweißten Spanferkel wird man in dieser Darreichungsform in heimischen Supermärkten vergeblich suchen. Auf dem Parkplatz, nur knapp kleiner als das Saarland, fand ich diesen Einkaufszettel, der sich auch als europapolitisches Manifest deuten lässt: ganz oben «Sa Nostra», mallorquinisch für «La Nuestra», eigentlich «Caja de Ahorros y Monte de
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