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Butter, Brot und Laeusespray

Butter, Brot und Laeusespray

Titel: Butter, Brot und Laeusespray Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wigald Boning
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seltener sind als etwa kryptischeRezeptsignaturen, liegt auf der Hand, und doch: Es gibt sie. Auf dem vorliegenden Beispiel kann ich Batterien und Zahncreme entziffern, ferner Saft und Wurzelbürsten. Von Letzteren habe ich schon lange nichts mehr gehört. Gibt’s die überhaupt noch? Kneife ich die Augen ein wenig zusammen, erahne ich auf dem Papier ein anderes Zeitalter. Flandern 1916.   Stellungskrieg. Ganz unten mächtige Stacheldrahtverhaue, dahinter die Frontlinie. Der Knick im Papier markiert den Horizont. Hügeliges Terrain. Der Verfasser steckt in grauem Schlamm, sehnt Frieden herbei. Er notiert die Sehnsüchte seiner Kameraden: Saft, Zahncreme, eine Wurzelbürste. Und eine funktionierende Geschützbatterie. Kein Wunder, dass der Rest unleserlich ist; tagelanges Trommelfeuer hat die Schrift ihrer Leserlichkeit beraubt. Handelt es sich also tatsächlich um ein Originaldokument aus dem Ersten Weltkrieg? Eher nein. Meine Deutungsmähre hat sich im gestreckten Galopp davongemacht, und ich laufe hilflos hinterher. Wie kommt es, dass ich bei diesem Zettel sogleich an Krieg denke? Legt der Lappen heimliche Traumata frei? Ich weiß es vorerst nicht, halte jedochfest, dass das, was man in einem Einkaufszettel liest, bisweilen mindestens so viel über den Deuter aussagt wie über den Verfasser. Das Motto «Zeig mir deinen Einkaufszettel, und ich sag dir, wer du bist» lässt sich mühelos abwandeln zu: «Sag mir, was du in einem Einkaufszettel zu erkennen meinst, und ich sag dir, für wen ich dich halte.»

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    Es gibt auch Zettel, deren Verfasser darum bemüht scheinen, ihre Werke – und sich selbst – jeder psychologisierenden Betrachtung zu entziehen. Sollen doch die Graphologen heulen und um Gnade flehen, scheinen diese Geheimniskrämer zu meinen. Allerdings: Nichts macht ein Individuum verdächtiger als allzu offensichtliches Agentengehabe, nichts offenbart eine Persönlichkeit schonungsloser als verkrampfte Anonymisierung. Gerade im Zeitalter der sozialen Netzwerke, in denen Millionen von Menschen um Aufmerksamkeit durch Entblößung ringen, fragt man sich: Was hat dieser Schreiber zu verbergen? Missmut, Mord und Totschlag? Die Uniform seiner Zeilen lässt uns frösteln. Da flog einer über die Pfefferschote. M – eine Stadt sucht einen Hering. Der Salatneurotiker. Das Schweigen der Schafskäse. Ich weiß nicht mehr, wo ich diesen Zettel fand, aber: Es geschah am helllichten Tag.

51

    Dieses Exemplar ist ein Sonderfall: Ich weiß, wer ihn geschrieben hat! An einem trüben Herbstnachmittag lungerte ich, wie so oft, auf dem Parkplatz vorm Penny-Markt im Gewerbegebiet Schongau-West herum und lauerte auf den schnellen Zettel zwischendurch. Ein Herr torkelte durch die Automatiktür, Mitte 60, grauer Schopf, steckrübenförmige Nase, hellbeige Manchesterhose, in der Linken eine pralle Tüte, in der Rechten eine Hosenklammer sowie die hier abgebildete Merkhilfe. Er wankte drei Meter ums Eck, wo sein olles Klapprad wartete, hängte die Tüte übern Lenker, schob es an und versuchte, nachdem er den Einkaufszettel lipplings ergriffen hatte, sein Hosenbein per Klammer fahrtfest zu machen. Da dies gar nicht so einfach ist, wenn man gleichzeitig einen tütentragenden Damendrahtesel aus der Herbert-Wehner-Ära hält und zudem einigermaßen alkoholisiert zu sein scheint, nahm dieser Vorgang mehrere Minuten in Anspruch. Ich stand derweil drei Meter entfernt im toten Winkel jener Plexiglasgarage, in der die Einkaufswagen Schlange stehen, und schaute gebannt zu. Schließlichsaß die Hose stramm, ächzend richtete sich der Radler auf, warf den Zettel in den Drahtkorb neben dem Eingang, schwang sein Bein übers Unterrohr und rollte davon, mäandernd wie der Mittellauf des Rio Negro. Ich stürzte umgehend zum Papierkorb, barg die Notiz und freute mich. Blitzanalyse: das doppelte Listchen! Kein Zweifel, alles ist zweifach geschrieben, annähernd überlappend, sodass ein milder 3- D-Effekt erzielt wird – nicht ganz so ausgefuchst wie bei «Avatar», aber immerhin. Sturm und Schlussmann dieser Aufstellung bestehen aus Alkoholika, im zentralen Mittelfeld spielen Dosenöffner, Kümmel (womöglich auch flüssig?) sowie «And. Hofer Brot». Hoppla, Andreas Hofer? Nach dem Tiroler Freiheitskämpfer, der die Truppen Napoleons 1809 am Bergisel schlug und im folgenden Jahr in Mantua hingerichtet wurde, ist ein Brot benannt? Wer kauft so etwas? Idee: Liebe geht durch den Magen, auch die Liebe zum Vaterland. Wer Andreas-Hofer-Brot

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