Butterbrot
entdecken wollten.
Konnte man denn nicht aus diesen Verirrungen der Tourismusindustrie die Lehre ziehen, daß man auch den Verirrungen im Tourismus der Herzen gnädiger gegenüber stehen sollte, als man es tut?
Ich meine - wenn so eine kleine, blöde, blinkende Plastikgondel, die man sich zur Abschreckung mitnehmen könnte, einem ein verzeihendes Lächeln entlockt
- sollten dann nicht auch die kleinen, blöden, blinkenden Plastikgefühle, die man manchmal in sich trägt -sollten diese rührenden, über ihren eigenen Anspruch stolpernden Gefühlchen nicht auch ein Lächeln verdienen, so wie man es hier bereit ist zu lächeln?
Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind - und da ich mich sehr gut mit dem Wind verstehe, darf ich seine Antwort verraten - sie lautet: »Genau -«!
Genau - denn das ist das Geheimnis der Botschaft von Venedig - deshalb kommen diese vielen händehaltenden, einander umarmenden, schlendernden, suchenden, stehenbleibenden, lächelnden Menschen hierher
- nicht nur um den Kanal zu besichtigen, in den Katharine Hepburn gefallen ist - nein - sondern um diese Spannweite des alles Erlaubten zu erleben.
Sie kommen, um in die Krone des Baumes der wahrhaftigen Schönheit zu blicken und dabei mit den Füßen durch das abgefallene Laub um seine Wurzeln zu rascheln.
Sie kommen, um zu erleben, wie mit der höchsten Blüte der Vollkommenheit der schale Spiegel ihres Verwelkens im Maßstab 1:17 im Angebot ist. Und sie kommen, um zu sehen, wie all das Prächtige, dem man begegnet, auf Westentaschengröße reduziert, vor Überheblichkeit warnt.
Das ist eine der vielfältigen Aufforderungen, im künftigen Beisammenleben gnädiger miteinander umzugehen, als man es in der Reihenhaussiedlung gewöhnt ist - geduldiger das In-die-Knie-Gehen eines Partners im Leben zu betrachten und ihm helfend die Hand hinzustrecken, damit er wieder so groß werden kann, wie er im Original geplant ist.
Ich sah sie von der Seite an und war unendlich glücklich, daß sie mir eines ihrer geliebten ironischen Lächeln schenkte, als sich ihr Blick von meinen Augen berührt fühlte.
»Kann es sein, daß wir dasselbe denken?« - sagte sie und zog mich in eine der halbleeren Seitengassen, die von unserer Via Garibaldi abbogen und das Meer hinter sich ließen.
»Tja - ich beginne es zu glauben«, sagte ich und legte ihr meinen Arm um die Schulter.
»Dann ist es gut« - sie legte ihre Hand um meine Hüften und ihren Kopf auf meine Schulter, und so wanderten wir in die Stadt hinein, die in diesen Gassen eine Atempause machte.
Ich hielt sie fest und streichelte im Gehen ihren Oberarm, und sie legte ihren Kopf hie und da an mich -alles andere war unwichtig geworden an diesem Nachmittag, der nur uns gehörte und mit dem wir machen konnten, was wir wollten.
Wir gingen durch namenlose Arkaden und über nie gefilmte Brücken, die ganz normale Menschenhäuser miteinander verbanden, die weit davon entfernt waren, mit ihren Palazzobrüdern einen Zweikampf zu riskieren.
Hinter diesen Fenstern wurde einfach gekocht und geschlafen, gegessen und gelesen, geputzt und gewa-sehen - ohne Festlichkeit, ohne Kristallüster an der Decke und ohne heimliche Sehnsucht nach Einfachheit.
Diese Häuser machten Atempause im Rezitieren der Ballade der »Serenissima« und färbten unseren Gang durch ihre Stille mit friedlicher Gelassenheit.
Wir schwiegen das gleiche dichte Schweigen und spürten, wie schön es war, den anderen beim Gehen zu fühlen. Ich mochte ihre Hüften, die sich im selben Rhythmus bewegten wie meine Hüften, und ich mochte meinen Blick, der schon seit einer Weile immer dorthin folgte, wohin sie ihren Kopf wandte. Wir zeigten einander alte Frauen in halbhellen Durchgängen, die aus gelben Plastikschüsseln Wasser vor ihre Haustüre schütteten. Wir sahen gemeinsam einer jungen Katze zu, die fünf Minuten lang brodelnden Anlauf nahm, um auf einen Vogelkäfig zu springen, der am Fenster gegenüber aufgehängt war. Der Vogel pfiff ungerührt weiter, da er genau wußte, daß sie ihn erstens nie aus dem Käfig holen konnte und zweitens an den Stäben abrutschen würde, um fünf Meter tief auf die Straße zu plumpsen - von dort unten sah sie dann mit einem gelangweilten »Pfuh - ich wollte ja ohnehin nur hier herunterspringen «-Blick zu dem Käfig hinauf und schlich dann zu neuen Herausforderungen um die Ecke.
Wir wichen im selben Moment einem Motorroller aus, auf dem ein junger Draufgänger seiner Süßen mal so richtig zeigte,
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