Butterbrot
allem den Menschen da neben mir überhaupt nicht kannte und wirklich nicht wußte, ob ein >Miteinander-Gehen< überhaupt machbar ist, aber wenn die Hormone Tango tanzen, sagt man zu allem möglichen >ja und amen<, Hauptsache, es sieht nach Ewigkeit aus. Und das ist es ja, worauf es hinausläuft - auf die Behauptung, daß man auf ewig glücklich sein möchte, und dabei hofft man, daß dieses Wollen allein schon genügt.
Ich finde, wenn man schon von öffentlichen Liebes-schwüren nicht abrücken möchte - ganz einfach, weil der Steuersatz für Eheleute günstiger ist als für freiheitlich liebende Menschen - dann sollte man es doch umdrehen -
Es ist doch viel würdiger und schöner und erhabener, wenn man zwei Menschen, die - sagen wir - seit fünfunddreißig Jahren in liebender Weise die Entwicklungsschritte ihres Begleiters teilen, nach diesen fünfunddreißig Jahren öffentlich und vor Zeugen fragt: >Hast du, lieber XY, diese letzten fünfunddreißig Jahre als eine Bereicherung im Reifeprozeß deiner Seele erfahren, und würdest du also sagen, daß du durch deinen liebenden, geliebten Partner Z weiter vorangeschritten bist, als du es ohne ihn geschafft hättest? -Wenn das also so ist, dann antworte mit einem lauten und deutlichen >Ja Das hätte Sinn -
Und um beim Kuhhandel zu bleiben, den die Gesetzgeber mit der Liebe treiben, könnte man ja im Anschluß an so ein >Ja< von mir aus die Pensionsraten erhöhen, um den Steuerverlust wieder auszugleichen, der in fünfunddreißig Jahren entstanden ist. Um etwaigen Habsuchtstendenzen entgegenzuwirken, muß dieses >Ja< selbstverständlich unter Messung des elektromagnetischen Hautwiderstandes durch einen Lügendetektor erfolgen, der dem Ganzen seinen Segen erteilt. Den Segen der Wahrheit nämlich, der viel schwerer wiegt als der Segen der naiven Absicht, die man mit zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren am Standesamt mit sich trägt.
Ich war einfach überfordert durch den eigenen Anspruch an mich, so zu sein, wie ich dachte, daß sie mich wollte.
Niemand hatte uns gelehrt, daß das Leben seinen
Sinn darin erhält, sich auszudehnen und zu wachsen.
Wir waren wie Millionen andere zusammengeworfen in eine Zweieinhalbzimmerwohnung und mußten jetzt allen Erwartungen, ein glückliches Paar zu sein, gerecht werden.
Diese Aufgabe kostete so viel Kraft und verpulverte so viel Energie in das Aufrechterhalten der äußeren, sichtbaren Fassade, die mit >Glück< gleichgesetzt wird, daß wir keine Zeit mehr hatten, zu bemerken, daß sich unsere Seelen und Herzen ja immer noch ausdehnten und wuchsen und Raum brauchten, um das zu tun -Dieser Raum kann aber oft nur erobert werden, indem man Teile des Weges wiederum allein geht, ohne Begleitung, deren Schutz manchmal zur lähmenden Gewöhnung wird und die die Anspannung im Wachsen behindert und große Sprünge zu Froschhopsern degenerieren läßt.
Das ist nämlich nicht in der Programmierung vorgesehen - daß man den Liebsten auch ziehen lassen muß, um ihm zu ermöglichen, daß er sich häutet und - größer geworden - zurückkehrt, was wiederum die eigene Entwicklung vorantreibt.
Jedes noch so kurze Auslassen der Hand wird ja sofort als erste Stufe des Verlassenwerdens mißverstanden, weil Selbständigkeit von Seelen ja nicht in der Verfassung verankert ist und auch im TV-Programm nur selten propagiert wird.
Die Sehnsucht nach Nähe ist die schönste Kraft auf Erden, nur kann sie eben bloß in der Entfernung entstehen. Aber das zu akzeptieren würde zu weit führen im Streben nach ewiger Sicherheit, die als Ergebnis nur Enge und Magengeschwüre produziert. Um aus dieser dumpf erkannten Situation auszubrechen, gehen betuchte Leute zum Segeln - einkommensschwächere Schichten klauen im Großmarkt eine Axt und verschaffen sich Luft, indem sie sie zwischen die Augen des Ehepartners donnern, dessen unentwegt fordernde Blicke ihnen zum Dickicht geworden sind, das sie daran hindert, ihr Fenster zu öffnen und frische Luft hereinzulassen.
Ja, ja - ich weiß schon - das ist die Spitze des Eisberges, aber um bei dem Vergleich zu bleiben, muß ich sagen daß ich auch nicht die Basis unter Wasser sein möchte, die so viel Sozialisierung und Kultur hat, nicht den direkten Weg zu gehen.
Die Axthiebe erfolgen dann eben in der Art, daß man nicht mehr >Guten Morgen< sagt - oder mit dem Satz >Nimm eben eine Tablette<, wenn der andere Kopfschmerzen hat, die ja nur Symptome sind für ein viel tieferes Weh, das erlöst werden möchte.
Ich
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