Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Butterbrot

Butterbrot

Titel: Butterbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel Barylli
Vom Netzwerk:
verwirrt, ohne einen einzigen einsichtigen Grund zu haben - der Neumond war vorbei, der Vollmond noch nicht in bedrohlicher Nähe, der Himmel war blau, die Luft nicht zu heiß, und dieser Nachmittag war einer der cremigsten dieses Jahrhunderts. Und doch war ich kurz vorm Heulen, ohne zu wissen warum.
    Ich frage mich manchmal, ob sich solche Gefühle nur einstellen, damit die Harmonie nicht zu langweilig wird, und haue mir dann immer im selben Gedankenzug auf die Backe, um mich für solch eine Hybris zu bestrafen.
    Ich weiß doch ganz genau, daß sich die Gefühle der anscheinend sinnlosen Trauer erst dann an das Tageslicht wagen, wenn der Weg vor ihrer Haustür klar ist und sie die Chance haben, wahrgenommen und nicht verdrängt zu werden.
    Wie auch immer - plötzlich war ich bodenlos traurig und gleichzeitig wütend, daß mir das jetzt passieren mußte, wo ich Maria doch wirklich alles bieten wollte, nur keine Wolken am Himmel - noch dazu solche unerklärbaren Kumulushäufungen, die verdammt nach Regen aussahen.
    »Du« - sagte sie und griff wieder einmal nach meiner Hand.
    »Ja ...«
    »Es ist alles gut.«
    »Ja, ja ...«, sagte ich und lächelte sie durch einen dichter werdenden Nebel an, der von Nordwesten her einsetzte.
    »Du - ich bin da -«
    »Mhm.«
    »Ist es, weil du an Susanna denkst, weil du auch hier warst mit ihr?«
    Ich sah sie an und hätte gerne etwas gesagt, aber das war unmöglich, weil ich schon genug damit zu tun hatte, mich nicht für mein leises Weinen zu schämen
    - nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn mein lautes Schluchzen den Billigtouristen eine neue, unerwartete Sensation geliefert hätte.
    Hol's der Henker - sie hatte so recht mit dem, was sie sagte, und ich hatte doch so fest geglaubt, schon Lichtjahre weit von diesem Schmerz entfernt zu sein. »Irrtum«, sagte der Igel zum Hasen - »ich bin noch immer da«, und piekte ihn höhnisch in seine Löffel.
    Ich hatte immer noch ungekaute Rinde von diesem Erlebnis in mir, das nun doch schon über zwei Jahre zurücklag, aber offensichtlich noch Nachbeben brauchte, um ganz zur Ruhe zu kommen.
    Die letzten Wellenringe erreichen ja auch erst dann das Ufer, wenn der Stein, den man in die Mitte des Sees geworfen hat, schon lange am Grunde des Wassers mit Sand bedeckt schläft.
    Ich war aber auch wirklich zu übermütig gewesen, mit Maria ausgerechnet in meine grüne Bar zu gehen, in der ich mit Susanna nach unserer Hochzeitsnacht gesessen hatte und überdreht war wie ein alter Gashahn. Wahrscheinlich wollte ich mir heimlich zeigen, was ich für ein Kerl war und unsentimental und darüberstehend und Batman und Robin in einem. Ja - so schnell wird die Rechnung präsentiert, wenn man sich mit sich selbst verplaudert und nicht auf die Warnblinkanlage achtet.
    »Erzähl es mir bitte, wenn du magst«, sagte sie und hielt immer noch meine Hand, wie zuvor am Bahnhof
    - nein - nicht wie zuvor am Bahnhof, sondern anders. Von außen gesehen konnte ein eiliger Gast sicherlich dasselbe Bild beschreiben: »Die junge Frau hielt die Hand des jungen Mannes - hohes Gericht - ja, es handelt sich um dieselbe Person.«
    Soviel zur Außenansicht der Ereignisse - in Wahrheit aber hielt sie nicht nur meine Hand, sondern schon immer größere Teile meines ganzen Wesens, und gab mir Mut und Gelassenheit, meine Gefühle vor das Haus treten zu lassen, um sich zu strecken.
    »Und nimm keine falsche Rücksicht, bitte. Ich habe vor diesem heutigen Tag auch schon andere Menschen geliebt als dich, und vielleicht weine ich nur etwas später als du.«
    »Warum haben wir uns nicht schon früher getroffen«, brabbelte ich verschnupft vor mich hin und nickte gleichzeitig, weil ich ihre Antwort ganz genau kannte. Sie sprach sie auch gar nicht aus, denn sie wußte, daß diese Frage nur an den Wind gerichtet war - der ja, wie schon erwähnt, zu meinen näheren Bekannten zählt und auch nicht immer »neun« ruft, wenn ich rhetorisch anfrage, wieviel drei mal drei ist.
    »Ich hab sie geheiratet, weil ich verliebt war wie ein Trottel - ich war berauscht, süchtig, höhenkollerartig animiert, alle Rekorde im Dauerlauf zu brechen, und ganz im allgemeinen unfähig, die Bedeutung der Worte in unserer Sprache zu erfassen. Darum sagte ich auch lachend >ja<, als mich ein würdiger Herr danach fragte, ob ich mit der Frau an meiner Seite bis zum Tode durchs Leben wandern wollte.
    Eine Frage in einer Situation, in der ich noch nicht einmal wußte, was Leben, geschweige denn Tod ist - und vor

Weitere Kostenlose Bücher