BY704 - Der Rächer aus Sing-Sing
dich, sobald er dich sieht. Er ist in die Enge getrieben. Er ist zu allem fähig.«
»Nein«, murmelte ich. »Ich glaube nicht, daß er schießt.«
»Aber er hat…«
»Hör zu«, sagte ich leise. »Dieser Mann wollte mir die Chance zur Flucht geben. Obwohl er wußte, daß er dadurch riskierte, geschnappt zu werden. Er ist kein Mörder. Und ich werde verhindern, daß er jetzt die Nerven verliert und doch noch zum Mörder wird.«
Phil nickte und ließ schweigend meinen Arm los. Ich bedeutete unsren Kollegen, aus der Nähe der Tür zu verschwinden.
»Ich denke, du bist sicher, daß er nicht schießen wird?« fragte Phil besorgt.
»Nur für alle Fälle!«
Dann trat ich dicht an den Vorhang heran, der das Foyer von der Bar trennte.
Cooky, Little Ben und der Albino trugen bereits Handschellen. Steve Dillaggio klopfte gerade einen der jungen Burschen nach Waffen ab, richtete sich dann auf und starrte zu mir herüber. Eine steile Falte stand auf seiner Stirn. Und auch Phils Gesicht verriet deutlich, daß er mich am liebsten mit Gewalt zurückgehalten hätte.
»Kitt Hillary!« schrie ich. »Ich komme jetzt heraus. Ohne Waffe. Ich will mit Ihnen reden!«
»Bleiben Sie, wo Sie sind!« brüllte er zurück.
»Nein!«
Ich schob den Vorhang zur Seite. Langsam, mit leicht erhobenen Händen, trat ich hinaus in das hell erleuchtete Foyer.
Kitt Hillary stand auf der untersten Stufe. Die Knöchel der Hand, mit der er sich auf den Stock stützte, waren weiß vor Anstrengung.
Er riß den Revolver hoch, so heftig, daß das blonde Mädchen zusammenzuckte und verzweifelt die Augen schloß.
Einen endlosen Augenblick lang standen wir uns gegenüber.
Hillarys Augen flackerten. Ich begegnete seinem Blick ruhig und ohne mich zu rühren.
Dann senkte sich die Hand mit dem Revolver. »Was wollen Sie, Cotton?« fragte er heiser.
»Ich will wissen, ob Sie Vorhaben, das Mädchen umzubringen.«
Er preßte die Lippen zusammen. »Sie wissen genau, daß ich das nicht vorhabe«, stieß er durch die Zähne. »Das Girl wird neben mir im Wagen sitzen. Ich lasse sie laufen, sobald ich in Sicherheit bin.«
»Okay«, sagte ich sachlich. »Tun Sie das! Aber ich werde Sie so lange jagen, bis ich Sie habe. Dann müssen Sie sich wegen Kidnapping verantworten. Haben Sie Lust, den Rest Ihres Lebens hinter Zuchthausmauern zuzubringen?«
Sein Gesicht war noch um eine Spur weißer geworden. »Ich habe keine Wahl«, keuchte er. »Sie wissen es genau.«
»Hillary! Bis jetzt haben Sie noch nichts getan, das Sie lebenslänglich ins Zuchthaus bringen würde. Vermutlich wird man Ihnen nicht einmal einen Raubversuch beweisen können. Aber sobald Sie dieses Mädchen auch nur aus dem Haus herausschleppen, haben Sie verspielt.« Hillary atmete schwer. Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Warum sind Sie herausgekommen und haben riskiert, daß ich Sie über den Haufen schieße?«
»Weil ich Sie nicht für einen Mörder halte. Werfen Sie die Waffe weg, Kitt Hillary!«
Sekundenlang schien er zu schwanken. Dann sah ich wie sich das weiße erschöpfte Gesicht entspannte. Die Hand mit dem Revolver senkte sich.
Polternd landete der 38er auf der Treppe.
***
Fünf Minuten später glich die Katakomben-Bar einem Bienenhaus. Das ganze Gebäude wimmelte von G-men und uniformierten Cops. Sirenen heulten auf. Die Eingangstür kam nicht mehr zum Stillstand.
Phil, Steve Dillaggio und ich stiegen gerade die Treppe hinauf. Da übertönte plötzlich der Knall eines Schusses den Lärm. Wir zuckten zusammen.
Meine Hand fuhr mechanisch zur Schulterhalfter, wo inzwischen mein eigener 38er wieder steckte. Dann sah ich Phils Gesicht. Mein Freund rang die Hände und warf einen komisch verzweifelten Blick zur Decke.
»Wer kann das sein?« fragte ich.
»Wer das ist?« stöhnte er. »Das ist deine Freundin Cheryl Kent — dieses rothaarige Flintenweib!«
»Cheryl Kent?«
Phil rannte bereits die Treppe hinauf. Dillaggio und ich spurteten ihm nach.
»Verdammt nochmal!« dröhnte uns Captain Hywoods Stimme entgegen.
Er stand auf der obersten Treppenstufe und spähte um die Ecke. In den Türnischen waren die Kollegen in Deckung gegangen. Ein vorsichtiger Blick zeigte mir, daß an der Stirnwand des Ganges, auf den die Treppe mündete, eine Tür offenstand.
Und aus dieser Tür fiel ein zweiter Schuß und schlug die holzgetäfelte Decke ein.
»Cheryl!« brüllte Phil, so laut er konnte. »Hören Sie auf! Wir sind es! FBI!«
Cheryl stand mitten in einem Wust von Gerümpel,
Weitere Kostenlose Bücher