Byrne & Balzano 1: Crucifix
und zappte durch die Sender, als wäre es eine Art Therapie für ihn.
»Ich muss Ihnen noch eine Frage stellen, Sir. Wenn es Ihnen recht ist.«
Es dauerte ein paar Sekunden, bis Mr Semanski erneut nickte. Der Arzneimittelcocktail auf dem Teewagen schien seine Reaktionen zu verzögern.
»Ihre Frau sagte mir, dass es sehr schwer für Lauren war, den Verlust ihrer Eltern zu verschmerzen«, sagte Jessica. »Können Sie mir sagen, was sie damit meinte?«
George Semanski ergriff eine Arzneiflasche. Er nahm die Flasche in die Hand und drehte sie, ohne sie zu öffnen. Jessica sah, dass sie Clonazepam enthielt.
»Hm, nach der Trauerfeier und der Beerdigung, ungefähr eine Woche später, wäre sie fast …« George Semanski verstummte.
»Was, Mr Semanski?«
Er stellte die Flasche wieder zurück. »Sie hat versucht, sich umzubringen.«
»Wie?«
»Eines Nachts ging sie in die Garage. Sie steckte einen Schlauch in den Auspuff und schob ihn durchs Fenster. Sie wollte sich mit dem Kohlenmonoxid vergiften.«
»Was geschah dann?«
»Sie verlor das Bewusstsein und sank auf die Hupe. Ich weckte Bonnie, und sie ging hinaus, um nachzusehen.«
»Musste Lauren ins Krankenhaus?«
»Ja«, sagte George. »Sie war fast eine Woche in der Klinik.«
Jessicas Puls beschleunigte sich. Sie spürte, dass sie das fehlende Puzzlestück gefunden hatte.
Nicole Taylor hatte versucht, sich die Pulsadern aufzuschneiden.
Tessa Wells hatte Verse von Sylvia Plath in ihr Tagebuch geschrieben.
Lauren Semanski hatte versucht, sich mit Abgasen zu vergiften.
Selbstmord, dachte Jessica.
Alle diese Mädchen hatten einen Selbstmordversuch hinter sich.
»Mr Wells? Detective Balzano.« Mit dem Handy am Ohr lief Jessica auf dem Bürgersteig vor dem Haus der Semanskis auf und ab.
»Haben Sie ihn geschnappt?«, fragte Wells.
»Wir arbeiten daran, Sir. Ich muss Ihnen eine Frage stellen. Es betrifft die Zeit um Thanksgiving im letzten Jahr.«
»Im letzten Jahr?«
»Ja. Es ist sicher schwer für Sie, darüber zu sprechen. Mir fällt es auch nicht leicht, Sie danach zu fragen.«
Jessica erinnerte sich an die Kramschublade in Tessas Zimmer. Dort lagen Armbänder aus einem Krankenhaus.
»Was ist mit Thanksgiving?«, fragte Wells.
»War Tessa um diese Zeit im Krankenhaus?«
Jessica wartete ungeduldig auf die Antwort. Sie packte das Handy so fest, dass sie Angst bekam, es könne zerbrechen. Sie lockerte ihren Griff.
»Ja«, sagte er.
»Würden Sie mir sagen, warum sie im Krankenhaus war?« Jessica schloss die Augen.
Frank Wells atmete pfeifend ein. Und sagte es ihr.
»Tessa Wells hat im letzten November Tabletten geschluckt. Lauren Semanski schloss sich in die Garage ein und versuchte sich mit Auspuffgasen zu vergiften. Und Nicole Taylor hat sich die Handgelenke aufgeschnitten«, sagte Jessica. »Mindestens drei Mädchen von der Liste haben einen Selbstmordversuch verübt.«
Sie waren ins Roundhouse zurückgekehrt.
Jessica war wie elektrisiert. Lauren Semanski stand noch immer unter dem Einfluss der starken Drogen. Bis sie mit ihr sprechen konnten, mussten sie sich mit dem begnügen, was sie hatten.
Bis jetzt hatten sie keine Information darüber erhalten, was Lauren mit der Faust umklammerte. Laut Aussage der Detectives im Krankenhaus hatte Lauren die Faust bisher nicht geöffnet. Die Ärzte baten um Geduld.
Byrne hatte eine Kopie von Brian Parkhursts Liste in der Hand. Er riss sie durch, reichte Jessica eine Hälfte und behielt die andere. Dann zog er sein Handy aus der Tasche.
Kurz darauf hatten sie eine Antwort auf ihre Frage. Alle zehn Mädchen auf der Liste hatten im letzten Jahr einen Selbstmordversuch verübt. Jessica glaubte nun, dass Brian Parkhurst der Polizei – vielleicht als eine Art Buße – sagen wollte, dass er wusste, warum der Killer es auf diese Mädchen abgesehen hatte. Vermutlich hatten die Schülerinnen dem Schulpsychologen anvertraut, dass sie versucht hatten, sich das Leben zu nehmen.
Es gibt Dinge, die Sie über diese Mädchen wissen müssen.
Vielleicht versuchte ihr Täter mit der verdrehten Logik eines Serienkillers, das zu Ende zu bringen, was die Mädchen begonnen hatten. Mit der Frage nach dem Warum würden sie sich auseinander setzen, wenn sie diesen Irren endlich geschnappt hatten.
Fest stand: Der Täter hatte Lauren Semanski gekidnappt und ihr Midazolam gespritzt. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sie mit Speed voll gepumpt war. Das Speed hatte die Wirkung des Midazolams aufgehoben. Außerdem
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