Byrne & Balzano 1: Crucifix
Christina Aguilera und 50 Cent statt Bryan Adams und Boyz II Men. Sie stöhnten beim Anblick von Ashton Kutcher statt von Tom Cruise.
Okay, für Tom Cruise schwärmten sie wohl immer noch.
Alles ändert sich.
Und doch bleibt alles, wie es ist.
Im Büro der Schulleiterin stellte Jessica fest, dass sich auch dort nicht viel verändert hatte. Die Wände waren wie schon damals mit einer dezenten cremefarbenen Lackfarbe gestrichen, und es duftete noch immer nach einer Mischung aus Lavendel und Essigreiniger.
Sie trafen die Schulleiterin in ihrem Büro an. Schwester Veronique war eine Frau in den Sechzigern mit spitzen Gesichtszügen, hektischen Bewegungen, blauen Augen und einem unsteten Blick. Als Jessica diese Schule besucht hatte, hieß die Schulleiterin Schwester Isolde. Schwester Veronique hätte eine ältere Zwillingsschwester von Isolde sein können – nur robuster, blasser und ein wenig fülliger.
Jessica und Byrne stellten sich vor und nahmen vor dem Schreibtisch Platz.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Schwester Veronique.
»Es tut mir Leid, aber wir haben eine unangenehme Nachricht für Sie. Es geht um eine Ihrer Schülerinnen«, sagte Byrne.
Schwester Veronique war noch unter dem Einfluss des zweiten Vatikanischen Konzils aufgewachsen. Damals bedeuteten Unannehmlichkeiten an einer katholischen Highschool in der Regel kleinere Diebstähle, Rauchen und Trinken, vielleicht gelegentlich eine Schwangerschaft. Heutzutage hatte es keinen Zweck mehr, über die Natur eines Vergehens zu spekulieren.
Byrne reichte ihr das Polaroid-Foto vom Gesicht des Mädchens.
Schwester Veronique schaute sich das Foto an, wandte dann den Blick ab und bekreuzigte sich.
»Kennen Sie das Mädchen?«, fragte Byrne.
Schwester Veronique zwang sich, einen zweiten Blick auf das Foto zu werfen. »Nein. Ich fürchte, ich kenne sie nicht. Wir haben mehr als tausend Schülerinnen. Dreihundert sind in diesem Schuljahr hinzugekommen.«
Sie zögerte einen Moment, ehe sie sich über den Schreibtisch beugte und auf die Taste ihrer Sprechanlage drückte. »Dr. Parkhurst möchte bitte in mein Büro kommen.«
Schwester Veronique war sichtlich erschüttert. Ihre Stimme bebte leicht. »Ist sie …?«
»Ja«, sagte Byrne. »Sie ist tot.«
Schwester Veronique bekreuzigte sich ein zweites Mal. »Wie ist sie … wer könnte … warum?«, flüsterte sie.
»Wir stehen mit den Ermittlungen ganz am Anfang, Schwester.«
Jessica sah sich in dem Büro um, das fast so aussah, wie sie es in Erinnerung hatte. Sie spürte die warme Lehne des Stuhls, auf dem sie saß, und fragte sich, wie viele Mädchen im Laufe der letzten zwölf Jahre wohl nervös auf diesem Stuhl gesessen hatten.
Kurz darauf betrat ein Mann das Büro.
»Darf ich Ihnen Dr. Brian Parkhurst vorstellen?«, sagte Schwester Veronique. »Er ist unser Beratungslehrer.«
Brian Parkhurst war Anfang dreißig, ein großer, schlanker Mann mit feinen Gesichtszügen, rotblonden Haarstoppeln und den vagen Erinnerungen an die Sommersprossen seiner Kindheit. Seine Kleidung war ziemlich konservativ. Er trug ein dunkelgraues, sportliches Tweedjackett, ein blaues Oxford-Hemd und polierte Slipper. Einen Ehering trug er nicht.
»Die Herrschaften sind von der Polizei«, sagte Schwester Veronique.
»Ich bin Detective Byrne«, stellte Byrne sich vor. »Und das ist meine Partnerin, Detective Balzano.«
Es folgte das übliche Händeschütteln.
»Was kann ich für Sie tun?«, fragte Parkhurst.
»Sie sind der Beratungslehrer an dieser Schule?«
»Ja«, erwiderte Parkhurst. »Außerdem bin ich als Schulpsychologe tätig.«
»Sie sind studierter Psychologe?«
»Ja.«
Byrne zeigte ihm das Polaroid-Foto.
»Mein Gott«, rief Mr Parkhurst und erblasste.
»Kennen Sie das Mädchen?«, fragte Byrne.
»Ja. Das ist Tessa Wells.«
»Wir müssen ihre Familie kontaktieren«, erklärte Byrne.
»Natürlich.« Schwester Veronique versuchte, sich zu fassen, ehe sie sich zu ihrem Computer umdrehte und auf die Tastatur tippte. Kurz darauf erschienen Tessa Wells’ Schulzeugnisse und ihre persönlichen Daten auf dem Bildschirm. Schwester Veronique starrte fassungslos auf den Monitor, als betrachtete sie eine Todesanzeige, und drückte dann auf eine Taste, woraufhin der Laserdrucker in einer Ecke des Büros seine Arbeit aufnahm.
»Wann haben Sie Tessa zum letzten Mal gesehen, Dr. Parkhurst?«, fragte Byrne.
Der Schulpsychologe überlegte. »Ich glaube, es war am Donnerstag.«
»Am Donnerstag letzter
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