Byrne & Balzano 1: Crucifix
sich das Verhältnis zu seinem Vater inzwischen entwickelt hatte, aber sie wollte nicht in alten Wunden rühren.
Sie schwiegen, lauschten der Musik, schauten sich an und träumten wie zwei Teenager. Ein paar betrunkene Cops vom dritten Distrikt bahnten sich schattenboxend den Weg an ihren Tisch und gratulierten Jessica zu ihrem Sieg.
Schließlich kam Patrick auf Jessicas Job zu sprechen. Ein sicheres Terrain für eine Unterhaltung mit einer verheirateten Frau und alten Liebe.
»Wie ist die Arbeit in der ersten Liga?«
Erste Liga , dachte Jessica. Man kommt sich in der ersten Liga ziemlich unbedeutend vor . »Ich hab gerade erst dort angefangen, aber es ist schon ein großer Unterschied zu meinem Job im Streifenwagen«, sagte sie.
»Vermisst du es nicht, Taschendiebe zu jagen, Kneipenprügeleien zu schlichten und schwangere Frauen ins Krankenhaus zu fahren?«
Jessica lächelte ein wenig wehmütig. »Taschendiebe und Kneipenschlägereien? Darauf kann ich gut verzichten. Und was die schwangeren Frauen betrifft, bin ich aus dieser Abteilung mit einem Punktestand von eins zu eins ausgeschieden.«
»Wie meinst du das?«
»Als ich bei der Streife war, habe ich einem Baby zur Geburt auf dem Rücksitz eines Wagens verholfen – und eines habe ich verloren.«
Patrick reckte sich. Sein Interesse war geweckt. Das war seine Welt. »Wie meinst du das? Warum hast du eins verloren?«
Das war nicht gerade Jessicas Lieblingsgeschichte. Es tat ihr schon Leid, dass sie es überhaupt erwähnt hatte. Jetzt blieb ihr nichts anderes übrig, als die ganze Geschichte zu erzählen. »Es war am Weihnachtsabend vor drei Jahren. Erinnerst du dich an den Sturm?«
Es war einer der schlimmsten Schneestürme der letzten zehn Jahre. Dreißig Zentimeter Neuschnee waren gefallen, es stürmte, und die Temperatur war auf minus fünfzehn Grad gesunken. In der Stadt lief nichts mehr.
»Ja, sicher«, sagte Patrick.
»Ich hatte die letzte Schicht. Es ist kurz nach Mitternacht, und ich stehe in einem Dunkin’ Donuts und besorge Kaffee für mich und meinen Partner.«
Patrick hob die Augenbrauen, als wollte er sagen: Dunkin’ Donuts?
»Sag nichts«, sagte Jessica lächelnd.
Patrick kniff die Lippen zusammen.
»Ich wollte den Laden gerade verlassen, als ich dieses Stöhnen hörte. Es stellt sich heraus, dass in einer Nische eine Schwangere saß. Sie war im siebten oder achten Monat, und es gab offenbar Komplikationen. Ich rief einen Rettungswagen, aber die waren entweder im Einsatz, steckten fest oder sprangen nicht an. Ein Albtraum. Wir waren nur ein paar Straßen vom Jefferson entfernt. Also setzte ich sie in den Streifenwagen, und wir fuhren los. Wir bogen an der Dritten und Walnut um die Ecke, gerieten auf einer Eisfläche ins Schleudern, schlidderten in eine Reihe geparkter Wagen und saßen fest.«
Jessica nippte von ihrem Drink. Es war kein schönes Gefühl, darüber zu sprechen, doch hätte sie die Geschichte nicht erzählt, hätte sie sich noch mieser gefühlt. »Ich rief Unterstützung, doch als sie eintraf war es zu spät. Die Frau erlitt eine Frühgeburt.«
In Patricks Augen spiegelte sich Mitgefühl. Es ist nie einfach, einen Menschen zu verlieren, egal unter welchen Umständen. »Tut mir Leid.«
»Ein paar Wochen später hab ich es wieder gutgemacht«, sagte Jessica. »Mein Partner und ich haben in der South Street einen dicken Jungen zur Welt gebracht. Er war wirklich dick, neun Pfund und ein paar Kleine. Als hätten wir ein Kalb entbunden. Ich bekomme von den Eltern noch immer jedes Jahr eine Weihnachtskarte. Danach habe ich um meine Versetzung zur Verkehrswache gebeten. Von meinen Einsätzen als Geburtshelferin hatte ich die Nase voll.«
Patrick lächelte. »Gott versteht es, den Punktestand abzugleichen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Wenn ich mich recht erinnere, war es ein ziemlich verhexter Weihnachtsabend, nicht wahr?«
Da hatte er Recht. Wenn ein Schneesturm wütete, blieben die Verrückten normalerweise zu Hause. Aber aus irgendeinem Grunde trieben sie sich in jener Nacht allesamt herum. Schießereien, Brandstiftung, Raubüberfälle, Vandalismus.
»Ja. Wir waren die ganze Nacht auf den Beinen«, sagte Jessica.
»Hatte nicht jemand eine Kirchentür mit Blut beschmiert oder so was?«
Jessica nickte. »St. Catherine. In Torresdale.«
Patrick schüttelte den Kopf »So viel zum Frieden auf Erden, hm?«
Jessica musste ihm zustimmen. Andererseits wäre sie sofort ihren Job los gewesen, wenn es plötzlich Frieden auf Erden
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