Byrne & Balzano 1: Crucifix
Spätnachmittag gerieten die Ermittlungen ins Stocken. Trägheit und Hilflosigkeit breiteten sich aus. Nervöses, rhythmisches Klopfen der Stifte auf den Schreibtischplatten, schweigende Telefone. Blickkontakt wurde vermieden. Die Sonderkommission hatte es mithilfe einer Hand voll Streifenbeamten geschafft, die Windstar-Besitzer bis auf wenige Ausnahmen zu kontaktieren. Zwei von ihnen arbeiteten im St. Joseph’s, einer als Wirtschaftsleiter.
Um siebzehn Uhr wurde im Roundhouse eine Pressekonferenz abgehalten. Der Polizeipräsident und der Bezirksstaatsanwalt standen im Mittelpunkt. Es wurden alle in einem solchen Fall üblichen Fragen gestellt und die üblichen Antworten erteilt. Kevin Byrne und Jessica Balzano standen vor der Kamera und wurden den Journalisten als Leiter der SoKo vorgestellt. Jessica hoffte, dass sie nicht vor der Kamera sprechen musste. Musste sie nicht.
Um zwanzig nach fünf saßen sie wieder an ihren Schreibtischen. Sie zappten durch die Lokalsender, bis sie einen Bericht der Pressekonferenz fanden. Kevin Byrnes Nahaufnahme wurde mit kurzem Applaus, lautem Johlen und Grölen begrüßt. Der Moderator eines Lokalsenders sprach einen Kommentar zu den Filmaufnahmen, die entstanden waren, als Brian Parkhurst am frühen Nachmittag das Roundhouse verlassen hatte. Die in Zeitlupe gesendete Szene, als Parkhurst in seinen Wagen gestiegen war, wurde von der Bekanntgabe seines Namens begleitet.
Die Nazarene Academy hatte zurückgerufen und sie informiert, dass Brian Parkhurst am letzten Donnerstag und Freitag früher gegangen und dass er am Montag erst um 8.15 Uhr in der Schule gewesen sei. Er hätte genug Zeit gehabt, um beide Mädchen zu entführen, die Leichen abzulegen und trotzdem seine Dienstzeit einzuhalten.
Als Jessica gegen halb sechs einen Rückruf von der Schulbehörde in Denver erhielt, konnte sie Tessas ehemaligen Freund, Sean Brennan, endgültig von der Liste der Verdächtigen streichen. Kurz darauf fuhr sie mit John Shepherd ins kriminaltechnische Labor, das in einem modernen Gebäude an der Ecke Achte und Poplar untergebracht war, ein paar Blocks vom Roundhouse entfernt. Es gab neue Informationen. Bei dem Knochen, den sie in Nicole Taylors Hand gefunden hatten, handelte es sich um ein Stück eines Lammbeins. Offenbar war der Knochen mit einem Sägemesser abgeschnitten und mit einem geölten Wetzstein geschliffen worden.
Die Opfer hielten also einen Lammknochen und eine Reproduktion eines Gemäldes von William Blake in den Händen. Obwohl die Informationen hilfreich waren, brachten sie kein Licht in die Ermittlungen.
»Wir haben bei beiden Opfern identische Teppichfasern gefunden«, sagte Tracy McGovern, der stellvertretende Leiter des Labors.
Die Detectives stießen ihre geballten Fäuste in die Luft. Sie hatten Beweise. Synthetikfasern konnten aufgespürt werden.
»An den Rocksäumen beider Mädchen hafteten identische Nylonfasern«, fuhr Tracy fort. »Bei Tessa Wells wurden mehr als ein Dutzend sichergestellt. An Nicole Taylors Rock hafteten nur wenige, da die Leiche dem Regen ausgesetzt war, aber es gab welche.«
»Ein Teppich für Privathaushalte, Firmen oder Fahrzeuge?«, fragte Jessica.
»Vermutlich nicht für Fahrzeuge. Ich würde sagen, ein Teppichboden mittlerer Preisklasse für den Wohnbereich. Dunkelblau. Die Fasern hafteten am unteren Rand der Rocksäume. Sonst haben wir nirgendwo auf ihrer Kleidung welche nachweisen können.«
»Also haben die Mädchen nicht auf dem Teppich gelegen?«, fragte Byrne. »Und auch nicht daraufgesessen?«
»Nein«, sagte Tracy. »Da wir die Fasern nur an den Rocksäumen gefunden haben, würde ich sagen …«
»Sie knieten«, sagte Jessica.
»Sie knieten«, wiederholte Tracy.
Um achtzehn Uhr saß Jessica an ihrem Schreibtisch, drehte eine Tasse kalten Kaffee in den Händen und blätterte in ihren Büchern über christliche Kunst. Sie enthielten einige viel versprechende Hinweise, aber nichts wies eine Ähnlichkeit zu der Art und Weise auf, wie die Mordopfer an den Fundorten abgelegt worden waren.
Eric Chavez war zum Abendessen verabredet. Er stand vor dem kleinen Spiegel, der Einblick in den Verhörraum A gewährte, und band zum x-ten Mal seine Krawatte, ohne dass ihm der perfekte doppelte Windsorknoten gelang. Nick Palladino erledigte die restlichen Anrufe bei den Windstar-Besitzern.
Kevin Byrne starrte wie gebannt auf die Fotos auf der Dokumentationswand. Die winzigsten Details fesselten seine Aufmerksamkeit, während er sich den
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