Byrne & Balzano 3: Lunatic
vor einem kleinen Klavier saß. Er begann zu spielen. Die Kamera schwenkte zurück zu Kristina und den Mädchen.
Jessica schaute verstohlen zum Pastor hinüber. Er verfolgte fasziniert den Videofilm. Jessica sah, dass seine Augen strahlten.
Alle Kinder folgten Kristinas langsamen, bedächtigen Bewegungen und ahmten jeden ihrer Schritte nach. Was das Tanzen betraf, war Jessica nicht sehr bewandert, doch man musste kein Fachmann sein, um zu sehen, dass Kristina sich voller Anmut bewegte.
Als die Musik verstummte, rannten die kleinen Mädchen im Kreis herum, prallten zusammen und ließen sich aufeinanderfallen, kreischend und kichernd. Kristina lachte, als sie den Kindern auf die Beine half.
Pastor Greg drückte auf Pause , worauf das leicht verschwommene Standbild von Kristinas lächelndem Gesicht zu sehen war. Der Pastor wandte sich wieder Jessica zu. Auf seinem Gesicht mischten sich Trauer und Schmerz, Freude und Stolz. »Wie Sie sehen, wird man Kristina hier sehr vermissen.«
Jessica nickte bloß; sie wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Vor wenigen Stunden hatte sie Kristina Jakos’ grässlich verstümmelten Leichnam gesehen. Jetzt lächelte die junge Frau sie vom Bildschirm an, voller Leben und Freude.
Pastor Greg sagte in die lastende Stille: »Sie wurden im katholischen Glauben erzogen, Detective.« Es war eine Feststellung, keine Frage.
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte Jessica.
Der Pastor hielt ihre Visitenkarte in die Höhe. »Detective Balzano.«
»Ich bin verheiratet. Das ist der Name meines Mannes.«
»Ah.«
»Aber Sie haben recht. Ich wurde im katholischen Glauben erzogen.«
»Und leben Sie nach Ihrem Glauben?«
»Ich versuche es.«
Pastor Greg nickte. »Das tun wir alle.«
Jessica überflog ihre Notizen. »Nun ... fällt Ihnen sonst noch etwas ein, was uns helfen könnte?«
»Im Augenblick nicht. Aber ich werde mich bei den Leuten hier umhören, die Kristina besser kannten«, bot Pastor Greg an. »Vielleicht weiß jemand etwas.«
»Das wäre nett«, sagte Jessica. »Danke, dass Sie Ihre Zeit geopfert haben.«
»Gern geschehen. Es ist bedauerlich, dass wir uns unter so tragischen Umständen kennen gelernt haben.«
Als Jessica an der Tür ihren Mantel anzog, warf sie noch einen Blick in das kleine Büro. Düsteres graues Licht drang durch die bleiverglasten Fenster. Das letzte Bild, das sie von der St.-Seraphim-Kirche mitnahm, war das von Pastor Greg, der mit verschränkten Armen und nachdenklicher Miene an seinem Schreibtisch saß und das Standbild von Kristina Jakos auf dem Fernsehbildschirm betrachtete.
13.
D ie Pressekonferenz fand vor dem Roundhouse statt, in der Nähe der Statue des Polizisten mit dem Kind. Dieser Eingang war für die Öffentlichkeit gesperrt. Es waren ungefähr zwanzig Reporter von Presse, Rundfunk und Fernsehen erschienen.
Sobald ein Polizist in eine umstrittene Schießerei verwickelt war – oder in einen Schusswechsel, den eine bestimmte Interessengruppe als umstritten darstellte, zum Beispiel ein Sender oder eine Zeitung, die lange keine gute Story mehr gehabt hatten –, war es für die Polizei unumgänglich, sich dieser Herausforderung zu stellen. Wer diese Aufgabe übernahm, hing von den jeweiligen Umständen ab. Manchmal war es die Abteilung für innere Angelegenheiten, manchmal der Chef eines Reviers, manchmal der Polizeichef persönlich, wenn die Situation oder die Kommunalpolitik es erforderten. Pressekonferenzen waren ebenso notwendig wie lästig. Die Polizeibehörde konnte bei dieser Gelegenheit zumindest beweisen, dass sie ihre Leute nicht im Regen stehen ließ.
Diesmal wurde die Pressekonferenz von Andrea Churchill geleitet, der für Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Mitarbeiterin des Philadelphia Police Departments. Sie war Mitte vierzig, eine ehemalige Streifenpolizistin des sechsundzwanzigsten Reviers und eine streitbare Frau. Byrne hatte mehr als einmal erlebt, wie Andrea Churchill eine unangebrachte Frage nur mit einem stechenden Blick ihrer eisblauen Augen beantwortet hatte. Während ihrer Zeit auf der Straße hatte sie sechzehn Auszeichnungen für gute Leistungen erhalten, fünfzehn Belobigungen und sechs Orden, darunter vom Berufsverband der amerikanischen Polizei. Für Andrea Churchill war eine Horde lärmender, sensationsgieriger Reporter bloß ein Appetithappen zum Frühstück.
Byrne stand hinter ihr. Rechts von ihm stand Ike Buchanan. Hinter ihm standen im Halbkreis sieben andere Detectives mit ausdruckslosen Gesichtern
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