Byrne & Balzano 3: Lunatic
geschrieben. Ganz unten auf der Seite steht ein Satz, den man am besten lesen kann.«
»Was heißt er übersetzt?«
»›Es tut mir leid.‹«
»Es tut mir leid?«
»Ja.«
Was tat ihr leid?, fragte Byrne sich.
»Das andere sind einzelne Buchstaben.«
»Sie ergeben keinen Sinn?«
»Ich erkenne jedenfalls keinen. Ich werde die Buchstaben der Reihe nach aufschreiben und sie Ihnen faxen. Vielleicht ergibt sich dann eine Bedeutung.«
»Danke, Nate.«
»Kein Problem.«
Byrne schaute sich die Seite noch einmal an.
Liebe.
Es tut mir leid.
Außer den Wörtern, Buchstaben und Zeichnungen sah Byrne mehrmals eine Aufeinanderfolge von Zahlen in einer Spirale, die nach unten hin schmaler wurde. Es schienen zehn Zahlen zu sein. Diese Zeichnung entdeckte er dreimal auf der Seite. Byrne ging mit der Seite zum Kopierer. Er legte sie auf die Glasplatte und stellte eine dreifache Vergrößerung ein. Als das Blatt ausgeworfen wurde, sah er, dass er recht gehabt hatte. Bei den ersten drei Zahlen handelte es sich um die 215. Das war eine hiesige Telefonnummer.
Byrne hob den Hörer ab und wählte die Nummer. Als jemand sich meldete, entschuldigte Byrne sich, dass er sich verwählt hatte, und legte auf. Sein Pulsschlag erhöhte sich. Jetzt hatten sie eine Adresse.
»Jess«, sagte er und nahm seinen Mantel.
»Was ist?«
»Wir müssen los.«
»Wohin?«
Byrne war fast schon zur Tür hinaus. »Zu einem Club namens Stiletto«, rief er über die Schulter.
»Soll ich die Adresse heraussuchen?«, fragte Jessica, die sich ein Funkgerät schnappte und Byrne dann folgte.
»Nein. Ich weiß, wo das ist.«
»Warum fahren wir dahin?«
Sie hatten die Aufzüge erreicht. Byrne drückte auf den Knopf und schaute ungeduldig auf die Uhr. »Der Club gehört einem gewissen Callum Blackburn.«
»Von dem hab ich noch nie gehört.«
»Kristina Jakos hat seine Telefonnummer dreimal in diese Zeitschrift geschrieben.«
»Und du kennst den Typen?«
»Ja.«
»Woher?«, fragte Jessica.
Byrne trat in den Aufzug und hielt die Tür auf. »Ich hab vor fast zwanzig Jahren mitgeholfen, ihn in den Knast zu bringen.«
24.
I n China lebte einmal ein Kaiser im schönsten Palast der Welt. In einem großen Wald ganz in der Nähe, der bis ans Meer reichte, wohnte eine Nachtigall. Aus der ganzen Welt kamen die Leute herbei, um den Gesang der Nachtigall zu hören. Alle staunten über ihre herrliche Stimme. Der Vogel wurde so berühmt, dass die Menschen, wenn sie sich auf der Straße trafen, kaum noch über etwas anderes sprachen als über die Nachtigall.
Moon hat den Gesang der Nachtigall gehört. Er hat sie mehrere Tage lang beobachtet. Es war nicht lange her, da saß er inmitten anderer in der Dunkelheit und lauschte dem Wunder der Musik. Die Stimme der Nachtigall war rein und fröhlich und voller Zauber. Der Klang winziger Glasglöckchen.
Jetzt schweigt die Nachtigall.
Heute wartet Moon heimlich auf sie. Der süße Duft im Garten des Kaisers steigt ihm zu Kopf. Er kommt sich vor wie ein nervöser Verehrer. Seine Handflächen sind schweißnass, und sein Herz klopft. So hat er sich noch nie gefühlt.
Wenn sie nicht seine Nachtigall gewesen wäre, hätte sie seine Prinzessin werden können.
Heute wird sie wieder singen.
25.
D as Stiletto war ein »Gentlemen’s Club« in der Dreizehnten Straße – ein Striplokal gehobener Klasse im Vergleich zu anderen in Philly. Auf zwei Etagen wurden geilen Geschäftsleuten wackelndes Fleisch, Miniröcke und glänzende Lippenstifte geboten. Auf einer Etage war ein Stripteaseclub, auf der anderen eine laute Bar und ein Restaurant mit spärlich bekleideten Bardamen und Kellnerinnen. Das Stiletto hatte eine Lizenz für den Schnapsausschank; deshalb waren die Tänzerinnen nicht splitternackt, aber fast.
Auf dem Weg zum Club weihte Byrne Jessica ein. Offiziell gehörte das Stiletto einem bekannten ehemaligen Angriffsspieler der Philadelphia Eagles, einem beliebten Footballstar, der beim Pro Bowl dreimal in der US-Auswahlmannschaft gestanden hatte. In Wahrheit gab es insgesamt vier Partner, zu denen auch Callum Blackburn gehörte. Die Partner, die im Hintergrund agierten, gehörten sehr wahrscheinlich zur Mafia.
Mafia. Totes Mädchen. Verstümmelung.
Es tut mir leid , hatte Kristina geschrieben.
Eine vielversprechende Spur, überlegte Jessica.
Jessica und Byrne betraten die Bar.
»Ich geh mal schnell zur Toilette«, sagte Byrne. »Kommst du einen Moment ohne mich klar?«
Jessica starrte ihn an. Sie war seit zehn
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