Byrne & Balzano 4: Septagon
Mal seit Tagen.
29.
A LS DIE GLÜHENDE S ONNE über West-Philadelphia eine zart orangerote Farbe annahm, fuhr Byrne zu dem Ort, wo sie Eve Galvez’ Leichnam gefunden hatten. Der Fundort war noch immer mit Flatterband abgesperrt und wurde von zwei Polizisten in einem Streifenwagen gesichert. Die Spurensicherung hatte ihre Arbeit offenbar noch nicht abgeschlossen.
Byrne wies sich aus und begrüßte die beiden jungen Polizisten. Er bemitleidete sie, dass sie diesen stinklangweiligen Job machen mussten. Als er bei der Polizei angefangen hatte, hatte auch er oft solche Aufgaben übernehmen müssen. Er fragte sich, was für einen Mist die beiden wohl gebaut hatten, dass man ihnen diesen Job aufs Auge gedrückt hatte. Als Streifenpolizist hatte Byrne einmal eine ganze Schicht lang eine Mülltonne in einer Gasse in South Philly bewachen müssen, in die ein Mordverdächtiger eine Waffe geworfen hatte, die bei einem Verbrechen benutzt worden war. Byrne sollte die Mülltonne angeblich bewachen, weil die winzige Möglichkeit bestand, dass der Täter zurückkam, um die Waffe zu holen. Das geschah jedoch nicht. Stattdessen bekam Byrne einen wunden Hintern, einen steifen Rücken und lebenslanges Mitleid für Cops Anfang zwanzig, die in einem alten Dienstwagen saßen und an einem heißen Sommerabend eine so beschissene Schicht übernehmen mussten.
Als Byrne ein paar Minuten später am Rande des inzwischen leeren Grabes stand, stiegen Trauer und Wut in ihm auf. Niemand hatte ein solches Schicksal verdient, schon gar nicht eine Frau wie Eve Galvez. Er dachte an das letzte Mal, als er sie gesehen hatte. Dann an das erste Mal, als er sie gesehen hatte.
Das ist alles, was zählt, überlegte Byrne. Es gibt viele Erinnerungen dazwischen, doch die Meilensteine sind das erste und das letzte Treffen. Man bekam niemals eine zweite Chance, an diesen beiden entscheidenden Begegnungen zu drehen.
Und auf beide war man nicht vorbereitet.
Sie hatten sich auf einer Hochzeitsfeier kennengelernt. Der Bräutigam, ein Detective aus der Zentrale namens Reggie Babineaux, war ein umgänglicher Südstaatler von der Golfküste mit hängenden Schultern. Er war Ende dreißig und hatte seine Erfahrungen in der Knochenmühle des fünften Reviers in New Orleans gesammelt, ehe der Hurrikan Kathrina zugeschlagen hatte. Die Trauung und die Hochzeitsfeier fanden im »Mansion on Main Street« statt, einer verwinkelten, hochherrschaftlichen Villa in Voorhees, New Jersey. Neben einer großen Freitreppe, einem Deckengewölbe und plätschernden Wasserfällen gab es dort auch einen Teich voller Schwäne und einen gläsernen Pavillon für Feierlichkeiten. Für Byrne sah es aus, als hätte Carmela Soprano hier alles eingerichtet, doch er wusste, dass es alles sehr cher war, wie Reggie Babineaux es ausgedrückt hätte. Reggie hatte eine gute Partie gemacht. Seine Braut war alles andere als ein Model von der Titelseite der Vogue , aber Reggie wurde dennoch von jedem männlichen Angestellten des öffentlichen Dienstes im Saal beneidet, der eine Hypothek abzuzahlen hatte und zu Hause eine hysterische Zicke ertragen musste.
Byrne entdeckte Eve Galvez, als sie mit einem Kollegen der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia an der Bar stand. Sie trug ein enges rotes Kleid und hochhackige schwarze Schuhe. An ihrem Hals hing eine dünne Perlenkette. Ihr seidiges brünettes Haar fiel bis auf ihre Schultern. Ihre bräunliche Haut und ihre dunklen Augen strahlten im sanften Licht der Kristallleuchter. Byrne schaffte es nicht, den Blick von ihr abzuwenden. Er war nicht der Einzige. Alle anwesenden Männer warfen der schlanken, lateinamerikanischen Schönheit an der Bar verstohlene Blicke zu.
Byrne bat seinen alten Freund, den stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt Paul DiCarlo, ihm etwas über die schöne Frau zu erzählen. DiCarlo sagte ihm, was er wusste, aber das war nicht viel. Eve Galvez hatte drei Jahre zuvor im Büro des Staatsanwalts angefangen und sich schnell den Ruf einer klugen und sachlichen Ermittlerin erworben.
DiCarlo fügte hinzu, dass fast alle Männer in der Arch Street 1421 – dort hatte sich damals das Büro des Staatsanwalts befunden, das inzwischen zum Penn Square 3 umgezogen war – versucht hatten, bei Eve Galvez zu landen. Soweit DiCarlo wusste, hatte Eve sie alle abblitzen lassen. Es gab viele Gerüchte, und Paul DiCarlo glaubte, dass es tatsächlich nur Gerüchte waren. Eine hübsche Frau, die bei einer Staatsanwaltschaft arbeitete, war überall
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