Byzanz - Konstantinopel - Istanbul
eineinhalb Jahrtausende lang wurden
die Geschicke des Reichs vom Bosporus aus gelenkt. Dies änderte sich schon bald nach dem Ersten Weltkrieg. Nach Abzug der
alliierten Truppen schien sich im Zuge der von Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938) initiierten Staatsumwälzung dieser Ort mit
all seiner Vergangenheit |28| nicht mehr als Verwaltungszentrum einer neugegründeten modernen Republik zu eignen. Neuer Regierungssitz wurde das im anatolischen
Hochland gelegene Ankara. Heute ist Istanbul eine pulsierende Metropole, die anatolische Tradition mit dem Habitus westeuropäischer
Gesellschaften vereint.
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Wer zur »falschen Zeit« nach Istanbul kommt … Restaurierungsarbeiten an den Denkmälern gehören mit zu den Aufgaben der Stadt
(hier die Konstantinssäule).
|28| Europäische Kulturhauptstadt 2010
Nach seiner langen wechselvollen Geschichte erfuhr Istanbul im November 2006 eine ganz besondere Anerkennung, als es von der
Europäischen Union zur Kulturhauptstadt Europas für das Jahr 2010 ernannt wurde. Möglich geworden war dies durch einen im
Jahre 2000 gefassten Beschluss, die Nominierung auch auf Nichtmitglieder der EU zu erweitern. Dies zeigt nicht zuletzt, welche
Bedeutung der türkischen Metropole, die immerhin zu 97 Prozent auf europäischem Boden liegt, insbesondere in kultureller Hinsicht
beigemessen wird. Auch wenn heute nicht zu übersehende Probleme der Stadt zum Teil heftig zusetzen, wie etwa die seit Jahrzehnten
stattfindende Zuwanderung und ein entsprechend rasantes Bevölkerungswachstum, große Verkehrs- und Umweltprobleme, soziale
Spannungen und verbreitete Armut – ihre Geschichte, die mit jedem Schritt fassbar ist und zugleich das Tempo, mit dem diese
Weltstadt |29| gen Zukunft schreitet, wecken weltweit Interesse und machen sie zu einem beliebten touristischen Ziel. Doch vielleicht sind
es auch gerade die teils krassen Gegensätze, die dieses faszinierende Bild zeichnen. Einerseits wuchern die
Gecekondus
, die »über Nacht gebauten« Häuser der jenseits der Sonnenseite Lebenden, andererseits wachsen immer mehr der protzigen Glaspaläste
großer Banken und Konzerne in die Höhe. Während die Schere zwischen Arm und Reich zu den eindeutig negativen Erscheinungen
zu zählen ist, erzeugen andere, vielleicht auch nur vermeintliche Gegensätze, eine positive Spannung. So gehören Minirock
und Kopftuch heute gleichermaßen zum Straßenbild der scheinbar nie schlafenden Stadt, wie türkische Folklore und internationale
Chartstürmer in den Clubs. Junge, kreative und aufstrebende Künstler – ob Musiker, Schauspieler, bildende Künstler oder Modeschöpfer
– sind schon vor langem eine Verbindung mit Westeuropa eingegangen, ohne dabei die eigenen Wurzeln aufgegeben zu haben, und
können gewissermaßen als Botschafter der Kultur(haupt)stadt gelten. Die räumliche Trennung zwischen Asien und Europa wurde
in Istanbul ohnehin schon längst überwunden; geradezu symbolischen Charakter hat hierfür die 1. Bosporusbrücke (türk.
1. Boğaz Köprüsü
), die als eine Meisterleistung architektonischer Kunst seit 1973 den Bosporus überspannt und täglich von ungefähr 180 000 Fahrzeugen passiert wird.
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Die 1. Bosporusbrücke überspannt den Bosporus auf einer Länge von gut 1500 m und wurde nach dreijähriger Bauzeit 1973 zum
50. Jahrestag der Republik Türkei eröffnet.
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|30| Hippodrom
Von Sport und Politik
In den Gassen widerschallender Hufschlag, ohrenbetäubendes Getöse hölzerner Wagen, begeisterte »Bravo-Rufe« und tobender Beifall
– so muss es einst geklungen haben, wenn die Gespanne der Rennparteien zur Unterhaltung der Bevölkerung an den Rängen des
hufeisenförmigen, im Türkischen
At Meydanı
(»Pferderennbahn«, griech.
hippódromos
) genannten Platzes vorbeidonnerten und um Sieg und Ehre kämpften. Diesen großen Hippodrom stiftete Kaiser Septimius Severus
(193–211 n. Chr.) neben zahlreichen weiteren Bauten im Rahmen der neuen Stadtplanung nach der Belagerung Byzantions. Was für
die Bürger Roms der Circus Maximus war, war für die Einwohner von Byzanz die neue Stiftung außerhalb der antiken Stadt, die
auf der Landspitze lag, welche das heutige Serail einnimmt. Für den Bau dieser Anlage, mit der das Volk bei Laune gehalten
werden sollte, musste das in einem Tal auslaufende Gelände zunächst aufwendig terrassiert werden, wovon heute noch die großen
Bögen am abschüssigen Grund zeugen. Nach dem Tode des
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