Byzanz
Er selbst behielt sich das Kommando über den Abschnitt vor, der das Blachernenviertel schützte. Auf den weiteren Abschnitten folgten Hunyadi, dann Alexios und schließlich die anderen Generäle.
»Geht jetzt zu Bett. Ihr braucht Ruhe«, sagte der Kaiser. »Gott schütze das Reich!«
»Gott schütze den Kaiser«, entgegneten die Kommandeure.
Alexios lud Hunyadi in seinen geheimen Stadtpalast ein. Dort aßen und tranken sie, während ein Diener den Hund wusch. Danach vergnügten sie sich mit Hetären. Auch wenn sie körperlich erschöpft waren, so benötigten ihre überreizten Nerven doch eine Ablenkung, das große Vergessen für diese Nacht. Alexios hatte nicht das Gefühl, dass er Barbara betrog – er wollte nur seine Rückkehr ins Leben spüren.
Am anderen Morgen pochten zwei Offiziere am Tor des Stadtpalastes. Hunyadi und Alexios wurden unsanft aus dem Schlaf gerissen und zur Stadtmauer gerufen. Wenig später schauten sie vom Wehrgang der Außenmauer aus ungläubig auf die Ebene vor der Stadt. Sultan Murad II. hatte, noch bevor die Leichen geborgen werden konnten, seine Armee aufgestellt, um die Stadt zu stürmen.
»Teufelskerl!«, entfuhr es Alexios Angelos. Der junge Herrscher wollte die Entscheidung offensichtlich erzwingen. Die Türken näherten sich mit ihrem Belagerungsgerät. Die erste Angriffswelle bildeten irreguläre Truppen, Beutemacher, teils abenteuerlich in Panther-, Leoparden- oder Bärenfelle gehüllt. Auf sie ergoss sich der Geschossregen der Armbrüste und Bögen. Sie zogen sich schnell zurück. Nun wurden die Schilde, Rammböcke, Steinschleudern und Türme nach vorn geschoben. Mit Kanonen und riesigen Steinschleudern, die hinter der Mauer standen, eröffneten die Byzantiner den Beschuss des Belagerungsgerätes. Sechs der zehn Türme schossen sie in Brand. Von den verbliebenen Türmen zielten türkische Bogenschützen und trafen nicht wenige Verteidiger. Nachdem es den Byzantinern und den Bogenschützen Hunyadis allerdings gelungen war, auch den letzten Angriffsturm in Brand zu setzen, zogen sich am späten Nachmittag die Truppen des Sultans mit großen Verlusten zurück.
56
Notaras-Palast, Konstantinopel
Auch Loukas Notaras stürzte der Tag in den Kampf. In seinem Harnisch und unter der blauen Haube des Kapitäns harrte er auf der Wehrmauer des Blachernae-Tores aus, stieß mit anderen Byzantinern die Sturmleitern des Feindes, an denen Krieger wie Trauben an der Rebe hingen, in den Abgrund. Zwischen zwei Angriffswellen raunte er dem Kaiser verschwörerisch zu, dass Prinz Mustafa in seinem Haus weilte.
So kam es, dass Loukas, kaum von der Abwehr des Feindes zurückgekehrt, mit Besuch konfrontiert wurde. Johannes erschien in Begleitung des Fürsten Alexios Angelos. Der Fürst und der Kapitän musterten sich feindselig. Es widerstrebte Loukas, seinen Todfeind in sein Haus zu bitten. Aber er konnte natürlich den Kaiser nicht abweisen, zumal es niemals vorkam, dass der Herrscher ein Privathaus aufsuchte. Das lag eigentlich unter seiner Würde. Die Menschen hatten zum Kaiser in den Palast zu kommen, demütig und in der Hoffnung, empfangen zu werden, und nicht umgekehrt. Niemals stieg der Kaiser im Verkehr mit seinen Untertanen offiziell vom Thron herab. Aber es war schließlich Loukas Notaras gewesen, der um strengste Geheimhaltung gebeten hatte. Nach dem Verrat des Angriffsplanes traute auch Johannes seiner Umgebung nicht mehr. Sein Palast hatte Ohren. Und wer den Kaiser empfing, musste auch die Begleitung des Kaisers in sein Haus bitten. Johannes befahl Nikephoros, kein Aufsehen zu erregen.
So versammelten sich an jenem denkwürdigen Tag des Jahres 1422 Kaiser Johannes VIII., Fürst Alexios Angelos, Nikephoros und Loukas Notaras, Prinz Mustafa Tschelebi und Ilyah Pascha in dem kleinen Saal im Palast der Notaras. Eudokimos trug anstelle der Diener einen kalten Imbiss, Tee, Wasser und Wein auf. Alexios Angelos und Loukas Notaras antworteten einander niemals direkt. Sie ignorierten einander. Die Gesprächsrunde beschloss, dass der Kaiser vor aller Welt Mustafa als den rechtmäßigen Sultan aus dem Hause Osman anerkennen und damit Murad als Usurpator bloßstellen würde. Damit er Truppen anwerben konnte, würden die Byzantiner dem Prinzen Geld zur Verfügung stellen. Außerdem würden die Despoten von Morea und Thessaloniki Mustafa unterstützen. Am nächsten Morgen sollte ein Schiff die Türken nach Griechenland bringen, wo Mustafa im Rücken Murads in Rumelien, aber auch in Anatolien
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