Byzanz
den südlichen Kontoskalion- oder in den Eleutherios-Hafen einzulaufen, hatten die hohen Wellen inzwischen gründlich zunichtegemacht. Der Seegang verhinderte auch, beim Bukoleon-Palast vor Anker zu gehen. Also blieben nur noch die alten Häfen im Norden, im Goldenen Horn, übrig.
Nach einer Ewigkeit glaubte er, an Backbord die Seemauern der Stadt gesichtet zu haben. Doch der Bosporus empfing ihn mit einer riesigen Welle, auf der das Schiff bergauf fuhr. Die Welle brach, und die Galeere fiel zwanzig Klafter tief, während ein Teil des Wassers auf das Deck schlug und rechts und links ablief. Plötzlich krachte es so laut, dass Loukas das Bersten von Holz durch das Gebrüll des Windes und das Tosen des Meeres hindurch wahrnahm. Das Schiff taumelte. Er hielt das Ruder fest umklammert. Schreie drangen aus der Tiefe zu ihm. Befanden sie sich schon in der Hölle? Im Vorbeifahren sah er wie durch dicke Schleier den Bug eines sinkenden Schiffes, das sie gerammt hatten. Anders als die kleineren und wendigen Galeeren besaßen diese großen und schwerfälligen Schiffe, cocca genannt, im Unwetter nicht die geringste Chance zu manövrieren, weil sie ohne ihre Segel, die sie im Sturm reffen mussten, hilflos waren. Durch den Zusammenprall wurde die »Nike« ein wenig nach backbord gedrückt. Einige Stangen waren gebrochen und hatten ihre Ruderer verletzt.
»Schau nach, ob wir ein Leck haben, dann beruhige die Männer«, brüllte der Kapitän in Richtung des Glatzköpfigen. Er hoffte, dass der mächtige Eisensporn den Bug der »Nike« geschützt hatte. Der Steuermann nickte ihm nur zu, denn er sprach selten, und kämpfte sich zunächst zum Bug vor. Den Matrosen der cocca konnten sie in diesem Hexenkessel nicht mehr helfen – die See zog sie unaufhaltsam in ihren Schoß. Loukas schlug ein Kreuz und sandte ein kurzes Gebet für ihre Seelen zum Himmel.
Nun, wo er allein war, sank auch ihm der Mut. Wenn Gott es so wollte, dann würden sie eben mit Anstand ertrinken. Es soll nicht der schlechteste Tod sein, hatte er gehört – sofern ein Tod überhaupt gut sein konnte.
Für gewöhnlich ruhte der Schiffsverkehr wegen der Häufigkeit schwerer Unwetter vom Tag des heiligen Philippus im November bis zum Hochfest der Darstellung des Herrn im Tempel im Februar. Ohne den Befehl des Kaisers, die Braut seines Sohnes unverzüglich nach Konstantinopel zu bringen, hätte Loukas in Genua überwintert. Und nun würden sie alle untergehen, das Schiff, die Mannschaft, die Gräfin, auch er! Dabei hatte er noch nicht einmal begonnen zu leben, keine Frau geheiratet und keine Kinder gezeugt. Ein unvollendetes Leben also. Was hielt ihn noch am Steuerruder? Warum setzte er sich nicht in eine Ecke und sang die Bußpsalmen? Durch die Frische des Orkans roch er seinen Angstschweiß. Eudokimos kehrte mit undurchdringlichem Gesicht zurück. Wieder rollte eine Riesenwelle auf sie zu, wieder ruderten die Männer die Galeere auf ihrem Kamm. Doch diesmal brach die Woge nicht, und die »Nike« sauste auf ihrem steilen Rücken hinunter, dass der Besatzung Hören und Sehen verging. Loukas hatte mitgezählt: Jede siebte Welle übertraf alle vorherigen. Daraus schloss er, dass die nächste siebte Woge das Schiff zerbrechen würde.
Gegen den Höllenlärm des Sturmes brüllte der Steuermann, die Hände wie einen Trichter vor den Mund haltend, dem Kapitän zu, er solle um Gottes und der Seeleute willen darauf verzichten, ins Goldene Horn einzulaufen. Er hielt es für besser, vor der Einfahrt zu kreuzen und abzuwarten, bis Wind und Wasser sich beruhigt hätten. Leicht konnte das Schiff an die Küste geworfen werden und zerschellen. Sie aber würden wieder ins Wasser gezogen und, das sichere Ufer vor Augen, jämmerlich ertrinken. Jeder Seemann wusste doch von den tückischen Unterströmungen.
Das Goldene Horn, eingezwängt zwischen zwei Landzungen, über denen sich Konstantinopel und Galata erhoben, galt eigentlich als freundliches Gewässer, doch an diesem Tag hatte es sich in ein Ungeheuer verwandelt. Ein Blick auf die Kreuzwellen belehrte den jungen Kapitän darüber, dass sie das Schiff wie eine Nussschale hin und her werfen würden. Zudem hellte sich die Finsternis nicht auf, und ihm blieben nur noch drei Wogen Zeit bis zur nächsten Riesenwelle. Er durfte weder auf ein Ende noch auf ein Nachlassen des Unwetters hoffen.
Da nun lediglich Skylla und Charybdis zur Auswahl standen, entschied sich Loukas beherzt für Skylla und hielt auf die Mitte des Goldenen Horns
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