Byzanz
für Aufruhr und Empörung sorgen würde. Da sich Murad vor allem auf die Janitscharen und die Renegaten – Christen, die zum Islam konvertiert waren und in der Verwaltung Karriere machten – stützte, hatte er viel böses Blut bei den alttürkischen Familien erzeugt. Auf die Unzufriedenen und Enttäuschten, von denen es im Reiche Murads viele gab, wollte sich Mustafa stützen.
Als sich die Männer weit nach Mitternacht verabschiedeten, ergriff den Kaiser plötzlich aus einer unerklärlichen Weichheit heraus das Verlangen, die Tochter seiner Nichte zu sehen, das jüngste Mitglied der Palaiologen.
»Hoher Herr, sie ist keine Palaiologina. So sieht es der Ehevertrag vor«, sagte Alexios kalt und hart.
»Sie ist eine Notaras«, hielt Loukas stolz dagegen, und wer wollte, konnte aus dem Widerspruch heraushören, dass dies in seinen Augen viel mehr war. Seine Tochter war eine kleine Kaiserin, was immer diese Laffen auch für Spielchen trieben, er würde dafür sorgen! Seine Stirnader schwoll an. Nikephoros verbeugte sich unter Aufbietung allen Charmes, zu dem er fähig war, vor dem etwas ratlosen Kaiser. »Herr, erlaubt einem stolzen Großvater, Euch seine Enkelin vorzustellen. Ihr andern aber bleibt hier. Sie ist noch ein sehr kleines Kind, zu klein für die Ränke der Welt.«
Johannes lächelte weniger schwermütig als sonst, fast befreit. »Ja, bleibt alle zurück, wir wollen die kleine Anna Palaiologina nicht erschrecken.« Loukas sollte nie erfahren, was in dieser halben Stunde geschah, in der er im Vestibül des Palastes in Gesellschaft von Alexios Angelos auf den Kaiser und seinen Vater wartete. Johannes hatte Nikephoros den Eid abgenommen, nicht darüber zu sprechen. Der Fürst und der Kapitän tauschten weder einen Blick noch ein Wort. Das Schweigen zwischen ihnen war kälter als Eis. Während sich Loukas auf die steinerne Bank unter der Maria-Hodegetria-Ikone niederließ, die einst Demetrios für seine Genesung gemalt hatte und die im Kerzenlicht strahlte, als habe sein jüngerer Bruder keine irdischen, sondern himmlische Farben verwandt, tigerte Alexios Angelos wie eine gefangene Raubkatze auf den erdfarbenen Fliesen auf und ab. Man spürte, dass ihm der Palast wie ein Käfig vorkam, den er so schnell wie möglich zu verlassen wünschte.
Johannes hatte seine Nichte Eirene gebeten, nur im Beisein von Nikephoros die kleine Anna betrachten zu dürfen. Der Alte nickte seiner Schwiegertochter zu, die widerstrebend ihre Einwilligung erteilte. Nur ein flackerndes Öllämpchen erhellte ein wenig die Dunkelheit im Schlafzimmer der Notaras. Die beiden Männer blieben einen Moment an der Tür stehen, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnten.
»Soll ich nach Licht schicken?«, flüsterte der alte Seeräuber dem Kaiser beflissen zu.
»Nein, nein, wir wollen das kleine Wunder nicht aufwecken!«, hauchte Johannes dem Alten zu. Dann schlich er zur Wiege. Nikephoros folgte ihm ins Zimmer und blieb einen halben Schritt hinter dem Kaiser stehen. Wie dieser hochaufgeschossene Mann fast gebückt vor der Wiege mit katzenkrummem Rücken stand, die eigene Größe verbergend, um das Kind nicht zu erschrecken, rührte Nikephoros. Johannes schaute und schaute und schaute. Nur weil sich die Träne in seinem Augenwinkel zufällig im Licht des Öllämpchens spiegelte, nahm Nikephoros sie wahr.
»Sie ist schön, eine echte Palaiologina«, flüsterte Johannes ergriffen. »Meine Mutter hat nicht übertrieben.«
»Sie ist wie alle anderen ein Kind Gottes«, wandte Nikephoros sanft ein.
»Gewiss«, antwortete der Kaiser in einer so tiefen Traurigkeit, wie sie Nikephoros nie zuvor in seinem langen Leben gehört hatte. Es war der Schmerz, der die Hoffnung nicht kannte.
»Aber weißt du, mein väterlicher Freund, wenn ich damals meine Anna nicht zur Frau, sondern zur Tochter gehabt hätte …« Johannes lachte leise und traurig auf. »Aber sie heißt ja auch Anna.« Dann wiederholte er den Namen mit aller Ehrfurcht, als ob er von der Jungfrau Maria spräche. »Darf ich sie in den Arm nehmen?«, fragte der Kaiser vorsichtig und flehend zugleich, als ob ein Sohn seinen Vater fragte.
»Nur zu, hoher Herr«, ermunterte ihn Nikephoros.
»Danke, mein Freund, danke«, murmelte der Kaiser unterwürfig, als er das Kind behutsam aus der Wiege nahm. Als er es auf seine Augenhöhe nehmen wollte, führte Nikephoros behutsam, aber belehrend zugleich die feingliedrige, fast weibliche Hand des Kaisers hinter den Kopf seiner Enkelin und
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