Byzanz
kam es nur noch auf Kraft, Geschicklichkeit, schnelle Reflexe und Glück an. Außer Schwertern, Schilden, Dolchen, Morgensternen und Äxten, außer bunten Stoffen und Harnischen, Arm- und Beinschienen, Blut und klaffenden Wunden, düsterem Lächeln, furchtsamen oder weit aufgerissenen Augen sah er nichts mehr, außer Gebrüll und Geschrei, das sich zu einer einzigen höllischen Sinfonie verband und auf die Trommelfelle schlug, hörte er nichts mehr. Hatte sich die Erde aufgetan und sie verschluckt, sodass sie jetzt im Bauch der Unterwelt einander massakrierten, und war die Sonne nichts anderes als das Feuer der Hölle, unter dem sie fochten? Er wusste es nicht, es ging ihn auch nichts mehr an. Den einen hieb er in die Seite, unter dem Schwertstreich eines anderen, der ihn hätte enthaupten können, duckte er sich rasch hinweg, während der Kuvasz dem Feind die Kehle durchbiss. Dort, wo er nicht aufmerksam genug war, weil seine Konzentration einem anderen Gegner galt, war es Înger, sein Hund. Es kam auch vor, dass Alexios einem seiner Männer das Leben rettete, indem er einem Angreifer den Kopf spaltete oder ihn aufspießte, oder dass ihm selbst von einem anderen der Rücken freigehalten wurde.
Einmal stand er Schulterblatt an Schulterblatt mit einem seiner Männer und wehrte einen Janitscharenpulk ab. Als er einem blauäugigen, stämmigen Mann das Haupt vor die Füße legte, quoll unter seinem Hut blondes Haar hervor, und vom kopflosen Hals rutschte beim Sturz des Leibes eine Kette mit einem Kreuz, die blutrot flammte. Alexios steckte blitzschnell den Dolch in die Scheide, um die Kette im Fall aufzufangen. Da hieb jemand mit seiner Waffe nach seinem Arm, doch Înger sprang den Krieger an und warf ihn um. Alexios küsste die Kette und hängte sie sich um den Hals, zog den Dolch und tötete weiter, müde zwar, doch hatte er längst den Punkt überwunden, an dem er noch hätte aufhören können. Der trockene und harte Boden der Ebene war weich und schlammig vom Blut der Toten und Verletzten geworden. Er musste achtgeben, um nicht auszurutschen. Die Männer hatte längst der Gleichmut des Tötens in seine Obhut genommen. Alle Gefühle, Liebe wie Zorn, Angst wie Mut, erreichten sie nicht mehr, so sehr hielt sie das Handwerk des Mordens in seinen Abläufen.
Eine Stunde nach der anderen zerfloss im Blut. Auch wenn sie sich gut schlugen, würden sie doch keinen Durchbruch erzielen, musste Alexios feststellen, denn die Türken, die an Männern zahlenmäßig überlegen waren, warfen immer wieder frische Truppen in den Kampf. Für einen Türken, den Alexios erschlug, traten zwei neue in die Schlacht. So verkeilt, wie die Heerhaufen ineinander waren, brauchte man nicht einmal von Rückzug zu träumen. Rettung konnte allein der Einbruch der Dunkelheit bringen, wenn die Schlacht abgebrochen werden musste. Die Frage lautete nur, ob sie bis dahin durchhalten würden. Wenn nicht, war das Schicksal Konstantinopels besiegelt. Nach dem Stand der Sonne zu urteilen, war es erst Mittag. Und der Stern brannte auf die Ebene herab, als wollte er die Lebenden und die Toten braten.
55
Notaras-Palast, Konstantinopel
Eine seiner Galeeren, die sich in Chalkedon in Bereitschaft gehalten hatte, setzte Loukas Notaras, Mustafa und Ilyah Pascha nach Konstantinopel über. Unschuldig blinkte blau der Himmel über dem Bosporus, als sähe er die Schlacht, die auf der gegenüberliegenden Seite der Stadt tobte, nicht. Oder war er auch diesmal wieder teilnahmslos, wie er es immer zu sein pflegte? Was ging den Himmel schon das Schicksal der Menschen an?
Der Hafen wirkte wie ausgestorben. Bis auf die »Nike« und zwei weitere Schiffe, die den Notaras gehörten, lagen die Fahrzeuge im Hafen ohne Besatzung. Fünf Soldaten des Kaisers patrouillierten, behelligten aber die Ankommenden nicht. Die Straßen wirkten wie leer gefegt. Aus den Kirchen, an denen sie vorbeikamen, drangen die Gesänge und Gebete von Frauen, Kindern und alten Männern. Auf den Straßen der Stadt lagerte die Angst. Eine innere Unruhe ergriff Loukas, während man den beiden Türken die Verwunderung ansah. Nikephoros empfing die drei Männer mit besorgter Miene. Mit knappen Worten schilderte er ihnen, dass vor den Toren der Landmauer eine gewaltige Schlacht tobe, die über das Wohl und Wehe der Stadt entscheiden würde. Seine Spitzel hatten ihm berichtet, dass der Angriffsplan des Kaisers an die Türken verraten worden sei, sodass sie den Schlag der Byzantiner bereits erwartet
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