BZRK Reloaded (German Edition)
toben. Ihr war übel, und sie rannte auf wackligen Beinen ins Bad. Als sie dort ankam, hatte der Brechreiz nachgelassen. Sie schloss die Tür und hatte kaum Platz, sich auf die Toilette zu setzen.
Sie musste die Hände falten, damit sie nicht zitterten, aber selbst dann bebten sie, und das Beben durchlief ihren ganzen Körper.
Beim Sitzen hatte sie die Türe direkt vor ihrer Nase, und an der Tür war etwas.
Ein Stück Toilettenpapier, nur ein einzelnes Blatt, war mit Klebeband daran geheftet.
Jemand hatte mit Kuli etwas darauf geschrieben.
Da stand: Bleib stark. Du bist nicht allein.
»Ja, verdammt, ich will eine Zigarette.«
»Aber, Madam President, Sie rauchen doch nicht.«
Das kam von ihrer Stabschefin, Ginny Gastrell. Gastrell war entsetzlich dünn, war irgendwie hohlbrüstig, hatte knubbelige Ellbogen und Hände, die man bei einem Mann erwartet hätte. Oft wurde sie von Spöttern als das schwache Pferd im dritten Rennen von Belmont bezeichnet.
»Aber ich habe einmal geraucht. Ich habe es aufgegeben. Und jetzt will ich wieder anfangen«, sagte Helen Falkenhym Morales. Sie war im Oval Office und starrte durch die kugelsichere Fensterscheibe auf den südlichen Rasen. »Ich habe es aufgegeben und möchte wieder anfangen. Ich will eine Zigarette. Hier raucht bestimmt noch jemand anders.«
»Madam President, Sie …«
»Ich will verdammt noch mal eine Zigarette! Ich bin die Scheißpräsidentin der beschissenen Vereinigten Staaten, und ich will eine Scheißzigarette!«
»Ja, Madam President. Ich glaube, einer der Geheimdienstleute …« Gastrell ging hinaus.
Die Präsidentin setzte die Lektüre eines Berichts auf ihrem Tablet-PC fort, eines endlosen, ermüdenden Berichts über den Ausbruch bizarrer terroristischer Aktivitäten.
Der Flugzeugabsturz im Stadion der Jets.
Die Bombe und die Schießerei bei den Vereinten Nationen.
Der Mord an der einzigen Überlebenden des Bombenanschlags – man hatte sie endlich identifiziert. Ein gutes Mädchen – waren sie das nicht alle? – aus einer guten Familie aus Connecticut mit indischem Migrationshintergrund. Jemand war in das bewachte Krankenzimmer eingedrungen, hatte den FBI-Agenten, der bei ihr im Zimmer war, ausgeschaltet, und ihr flüssigen weißen Phosphor ins Hirn gepumpt. Als man sie entdeckt hatte, war von ihrem Kopf nur noch der leere, fleischlose Schädel übrig gewesen.
Ein Massaker in einem Haus in Capitol Hill.
Am Schlimmsten wog im Moment aber das Massaker im Buchladen, das die Polizei von Washington beschäftigte. Das FBI hatte sich des Falls annehmen wollen, doch hatte man ihm, sehr unmissverständlich klargemacht, dass es die Finger davon lassen solle. Ein Polizist war erschossen worden, deshalb war es undenkbar, dass die Polizei nicht ermittelte.
Und dabei wurde Rios’ ETA ans Licht gezerrt. Denn es häuften sich die Anzeichen, dass die Zeugen doch recht gehabt hatten: Die Initiatorin der Schießerei hatte sich selbst als ETA-Beamtin ausgewiesen, und sie gehörte tatsächlich zur ETA.
Die Präsidentin hatte ein Treffen mit Rios vereinbart. Sie mochte ihn. Sie mochte ihn sogar ziemlich, auch wenn sie sich zu erinnern meinte, dass das zunächst anders gewesen war. Irgendwann hatte sie ihn zu schätzen gelernt. In letzter Zeit erinnerte er sie immer mehr an ihren früheren politischen Mentor, Senator Reynolds, einen Mann von unumstößlicher Integrität. Nicht, dass Rios auch nur annähernd so ausgesehen, geklungen oder gehandelt hätte wie der Senator. Nur … Nun, es gab eine Gemeinsamkeit …
Jetzt aber stellte Rios’ Agentur ein Desaster dar, das sie und ihre Regierung blockierte.
»Und deshalb brauche ich eine Zigarette«, knurrte sie.
Gastrell kehrte zurück. Sie hielt eine Zigarette und ein grünes Feuerzeug in der Hand. Sie legte beides vor der Präsidentin auf den Tisch und drückte mit jeder Faser Missbilligung aus.
»Sie sind zu puritanisch, Ginny. Leben Sie doch ein bisschen. Ich habe es jedenfalls vor. Was meinen Sie: Wann kann ich nach der Beerdigung anfangen, mich zu verabreden?«
»Sind Sie mit Ihrer Trauerrede fertig?«
»Ich bin mit allem fertig. Fertig.« Sie zündete die Zigarette an und inhalierte tief. »Oh, süßes Heim.« Sie sah die Stabschefin an und sagte: »Lasst wohlbeleibte Frauen um mich sein / Mit glatten Köpfen, und die nachts gut schlafen. Die Gastrell dort hat einen hohlen Blick; / Sie denkt zu viel: die Leute sind gefährlich.«
Das war ein Zitat aus Shakespeare. Aus Julius Cäsar.
»Madam
Weitere Kostenlose Bücher