BZRK Reloaded (German Edition)
Haarbalgmilbe gegenüber.
Im M-Sub, dem Maßstab der Mikro-Subjektivität, erschien die Haarbalgmilbe fast genauso groß wie sie selbst. Das Gesicht des Tiers bestand aus den Mundwerkzeugen einer Spinne und zwei vollkommen leeren Knopfaugen der Marke »Hello Kitty«. Gott allein wusste, was es sah – vermutlich nicht viel. Die Haarbalgmilbe mampfte seelenruhig an einer abgestorbenen Körperzelle, die eher wie ein abgefallenes Laubblatt nach einem Regen aussah.
Die Haarbalgmilbe reagierte nicht auf Plaths Anwesenheit – kein Stadium ihrer Evolution hatte sie auf diese Begegnung vorbereitet. Sie fraß einfach weiter.
Der direkteste Weg war, einfach über die Milbe hinwegzusteigen. Mit einem Schaudern ließ Plath ihre Bioten über das Tier kraxeln, zwischen den schuppigen Bäumen hindurchgehen und auf das zerfurchte Gelände hinaustreten.
Durch Wüstenschluchten, vorbei an Pollenballen in einem halben Dutzend unterschiedlicher Farben und Formen. Die Pollenkörner sahen eigenartigerweise wie eine Sammlung von Fußbällen aus, die man auf dem Spielfeld hatte liegen lassen.
Auf die Wange. Hier war die Haut glatt – keine Schluchten mehr. Die würden zweifellos im Alter kommen – doch jetzt war ihre Haut noch ein Laubteppich, abgestorbene Zellen trieben auf einer lebendigen Unterlage. Sie sah, wie sich einzelne Zellen lösten und davonflatterten.
Die Bioten waren kurzsichtig. Plath wusste zwar, dass der gigantische Mount Everest in der Ferne ihre Nase war, aber sie hätte sie nur mit Mühe als solche erkannt. »Ah, was zum Teufel?«, rief sie. Direkt vor ihr lag eine lange, flache und dunkle Böschung. Der grobe Teppich aus Hautzellen stieg plötzlich an und sah aus wie ein Hügelgrab, wie ein dunkler Tumor.
»Eine Sommersprosse«, stellte sie erleichtert fest.
»Ich mag deine Sommersprossen«, sagte Burnofsky in der normalen Welt. »Bestimmt bewundert dein englischer Freund sie auch.«
Sie ging um die Sommersprosse herum und entdeckte in der Landschaft vor ihr noch weitere.
Als sie sich ihrer Lippe näherte, tauchten die feinen Härchen auf, viel kleiner als ihre Wimpern, weniger wie schuppige Palmen und mehr wie weit auseinanderstehende Weizenhalme. Sie konnte das Gefühl, durch eine Fantasy-Landschaft zu eilen, nicht unterdrücken. Es war, als wäre sie in einem Science-Fiction-Film gelandet. Und gleichzeitig nahm sie von Billy, den sie zum Supermarkt auf der Ecke geschickt hatten, um Vorräte zu besorgen, eine Coladose entgegen.
Ihre Bioten sahen die glänzende Getränkedose – ein unvorstellbar großer Gegenstand, eine Hindenburg in schreiendem Rot – am Horizont auftauchen und scheinbar in die Landschaft weiter vorn einschlagen.
Die Cola floss ihre Kehle hinab.
»Da ist ein leichter Kratzer, wo er dich berührt hat, glaube ich«, sagte Keats in der normalen Welt. Er inspizierte ihren Hals. »Du schwitzt. Nicht bewegen.«
Sie ließ ihre Bioten eine Drehung machen und sah die Wasserwand auf sich zurollen. Es war ein gleißender Ball, eher ein Wasserball, der einen Hügel hinabrollte als ein Tropfen, weniger flüssig und mehr wie ein fester Gegenstand.
Hastig wich sie zur Seite hin aus, doch dann sah sie eine Säule aus dem Himmel herabsausen.
Auf der Makroebene erkannte sie Keats’ Finger. Er berührte den Schweißtropfen. Er war ihr sehr nah, vielleicht schwitzte sie deshalb. Oder vielleicht auch nur, weil sie ihren Mantel nicht ausgezogen hatte und es in der Kirche feucht war.
Auf der Nanoebene stellte sich der weltgrößte Mammutbaum dem Schweißtropfen in den Weg und zerstörte die Illusion seiner Kompaktheit. Keats’ Fingerspitze wies in ihre Richtung, eine ausgetrocknete Ackerlandschaft mit unregelmäßigen Pflugbahnen. Er stach in das federnde Fleisch ihrer Wange, sodass sich der Untergrund, auf dem sie stand, krümmte.
Sie sah sein Gesicht. In beiden Versionen. Eine mit besorgten blauen Augen, eine vertikale Falte zwischen den Augenbrauen, die Lippen konzentriert zusammengepresst.
Und in der anderen Version eine den Himmel ausfüllende Ungeheuerlichkeit, ein stürzender Mond mit undeutlichen Gesichtszügen, ein aufragender Vulkan mit einem Doppelkrater, zwei Seen, so groß, dass man auf ihnen segeln konnte, ein länglicher roter Fleck, der es mit dem des Jupiters hätte aufnehmen können: sein Mund.
»Danke«, sagte sie.
»Kein Problem«, sagte der rote Fleck. Der Wind aus seinem Mund bog die Halme und zerraufte die Pollenballen.
Plath bemerkte, dass Billy daneben stand und glotzte.
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