BZRK Reloaded (German Edition)

beobachten«, befahl Nijinsky.
    »Fick dich, Jin«, blaffte Keats. »Sadie, raus da!«
    Plath ließ beide Bioten zurückweichen. Sie drehte sie so, dass sie sich gegenseitig begutachten konnten. Der ältere Biot verlor gerade ein Bein.
    Die Schmerzen waren heftig, wurden aber nicht mehr schlimmer. Keine lebensbedrohenden Schmerzen. Aber Schmerzen, eindeutig Schmerzen.
    Im M-Sub hatte sie sich ein paar Meter zurückgezogen.
    Noch immer schäumte der Spalt in Vincents Gehirn, jetzt aber schon eher wie ein niedergebranntes Feuer. Ob die Säure unten in der anvisierten Zone noch genug Kraft gehabt hatte, konnte sie nicht beurteilen. Die Verwüstung, die sie angerichtet hatte, erstreckte sich in diesem Maßstab allerdings auf die Größe eines kleinen Hinterhofs.
    Die ersten Lymphozyten quollen herbei, eilten der Zerstörung entgegen. Die ersten, die in dem Bereich ankamen, wurden von der Säure verbrannt und platzten auf wie mit Haferflocken gefüllte Luftballons.
    »Ich kann nicht nach den Nadeln fassen, um sie herauszuziehen«, sagte Plath. »Die Säure löst sie auf, aber noch sind sie da.«
    »Okay, okay«, sagte Nijinsky schließlich. »Rückzug.«

    Nacheinander beleuchtete die schwache Dämmerung die Buntglasfenster der flachen Kuppel der Stone Church. Anya hatte inzwischen genug von ihnen erkennen können, um sicher zu sein, dass sie tatsächlich die Zehn Gebote darstellten.
    Du sollst nicht.
    Du sollst nicht lügen, stehlen, begehren, ehebrechen, töten. Die Zahlen passten nicht ganz. Anya hatte ihre Gebote in der russisch-orthodoxen Kirche gelernt, die ihr Großvater besucht hatte. Sie war nie eine Gläubige gewesen, aber sie liebte den alten Mann, einen desillusionierten Kommunisten, der nichtsdestotrotz tief gläubig geblieben war.
    Wie erfolgreich warst du denn am Ende, Jehova, mit deinen Geboten und all dem?
    Anya Violet berührte Vincents Gesicht. Er war sehr ruhig geworden. Sein Blick war starr und huschte nicht mehr hin und her. Starr und mit schrecklicher Eindringlichkeit. Aber nicht auf sie gerichtet. Sie fühlte sich unsichtbar.
    Er betrachtete etwas. Er sah etwas.
    Nijinsky kam aus dem Loch unter dem Altar hervor. Er kauerte sich neben Anya hin. »Dr. Violet. Was sehen Sie?«
    »Ich bin keine Psychiaterin.«
    »Was sehen Sie?«, drängte Nijinsky.
    »Er ist … er bewegt sich nicht. Überhaupt nicht. Er atmet. Aber seine Augen, die bewegen sich nicht. Gar nicht. Seine Hände bewegen sich nicht, seine Arme hängen schlaff herunter.«
    Nijinsky betrachtete Vincent. Dieser zeigte keine Anzeichen von Bewusstsein. Vollkommen reglos saß er da. Dann, langsam, wie ein stürzender Mammutbaum, fiel er nach hinten auf die Kirchenbank und glitt zu Boden.
    Nijinsky und Anya sprangen auf. Sie berührte Vincents Gesicht, Nijinsky fühlte seinen Puls.
    »Er ist am Leben«, sagte Nijinsky. »Er ist am Leben.«
    »Er ist kataton. Was habt ihr mit ihm gemacht?«
    Nijinsky schob eine Hand unter Vincents Kopf und hob ihn an. Vincents Augen regten sich nicht. Blieben völlig ungerührt.
    Nijinsky gab ihm eine Ohrfeige, keine kräftige.
    Anya zuckte zurück, protestierte aber nicht. Stattdessen sagte sie: »Fester.«
    Nijinsky holte ordentlich aus.
    Nichts. Kein Zucken. Kein Blinzeln.
    »Noch mal«, sagte sie, und jetzt war sie diejenige, die das Sagen hatte, die Befehle gab.
    Nijinsky holte tief Luft. Diesmal keine Ohrfeige, sondern einen kurzen, knackigen Faustschlag gegen Vincents Schläfe.
    Nichts.
    Beide fuhren zurück und starrten entsetzt auf diese ausdruckslosen, leeren Augen.
    Dann bemerkte Nijinsky etwas, das ihn aufkeuchen ließ.
    Doch was er sah, befand sich nicht in der Kirche.
    An der Rückwand seines Augapfels hockte sein Biot und glotzte untätig auf Vincents noch immer inaktiven Biot.
    »Was ist denn?«, fragte Violet.
    »Nur …« Er sagte nicht, was es war, weil er es nicht wusste. Er wusste nur, dass er eine Gänsehaut bekommen hatte, denn zum ersten Mal hatte sich Vincents Biot gerührt.
    Nijinsky fröstelte. Er bekam kaum Luft.
    »Was ist denn?«, wollte Anya wissen.
    Vincents Biot richtete den Blick seiner Augen, die denen Vincents unheimlich ähnlich waren, auf Nijinskys Biot. Dann, während Vincent stumpf, katatonisch und ohne etwas zu sehen vor sich hinstarrte, ging sein Biot auf Nijinskys Kreatur zu und streckte eine Klaue aus, um ihn zu berühren.
    »Anya«, sagte Nijinsky perplex. »Er … Er ist bei Bewusstsein.«

NEUNZEHN
    »Bist du nicht ein bisschen zu jung, um mit Pistolen zu spielen?«,