C14-Crash
methodische Probleme waren also aufgetaucht, von
denen jedes mit Datierungsunsicherheiten von rund 1.000 C14-Jahren ver-
bunden waren. Libbys globale Streuung der Meßwerte um rund 1.000 C14-
6. Die Entdeckung und Entwicklung der C14-Methode
231
Jahre hat ihr modernes Äquivalent in der Binsenweisheit des »one date is no
date« (vergleiche Kapitel 7.6), wonach die C14-Alter von archäologisch für
gleichalt befundenen Proben um Jahrhunderte oder sogar Jahrtausende diver-
gieren können. Die von Art zu Art unterschiedlich starke Assimilation des
C14-Isotops wird als Isotopenfraktionierung beschrieben und für korrigierbar
gehalten, ohne daß jemals eine Änderung dieses Effektes mit der Zeit ernst-
haft diskutiert worden wäre.
Vielleicht wurde das alles so wenig kritisch betrachtet, weil Libby und
seine Mitarbeiter in einem weiteren Artikel nunmehr archäologische Evidenz
für die Stimmigkeit des Verfahrens präsentierten, die nun allen Erwartungen
gerecht werden konnte. Wir werden diesen Artikel im nächsten Kapitel ge-
nauer untersuchen und können vorwegnehmen, daß die Größenordnung der
Schwankungen von rund 1.000 Jahren in den Messungen auch für die dort
vorgestellten Proben wiedergefunden werden kann.
Viele naturwissenschaftliche Effekte sind trotz anfänglicher krasser Miß-
erfolge am Ende doch noch gefunden worden, weil transzendente Argumente
oder Empfindungen (»Symmetrie«, »Einfachheit«, »Ästhetik«) Forschern aus-
reichend Gewißheit gaben, um die Durststrecke zeitweiser Falsifizierung ihrer
Hypothesen durchzustehen. Eine solche Einstellung wäre im Falle der C14-
Methode im nachhinein gerechtfertigt gewesen (und sogar ein wenig zu be-
wundern), wenn die anfangs gegebenen Schwierigkeiten mit der Zeit beseitigt
worden wären.
Doch das Gegenteil ist hier der Fall. Diese Schwierigkeiten ziehen sich
durch die nächsten Jahrzehnte durch und zwingen die Forscher zu fundamen-
talen Methodenanpassungen und -brüchen, nur um die tendenziell ausufern-
den systematischen Schwierigkeiten im Rahmen zu halten. Für uns ist deshalb
ein Argument wie: »Das war nur am Anfang so, später konnten die meisten
Probleme doch gelöst werden« nicht stichhaltig. Libby war von Beginn an mit
genau denselben Schwierigkeiten konfrontiert, die auch heute die Debatte der
Fehler bestimmen. Es gibt eine Interdependenz zwischen anfänglicher Blind-
heit und der mit der Zeit entwickelten verfeinerten Methodik, die den Blick
auf die fundamentalen Schwächen gekonnt verdecken half.
Weil am Beginn die große Schwäche des Ansatzes systematisch ignoriert
bzw. »schön« gerechnet wurde, waren alle danach ausgearbeiteten Methoden
mit derselben Augenwischerei verbunden. Die eigentlichen Probleme – insbe-
sondere die Ungültigkeit des Simultanitätsprinzips – wurden zu keiner Zeit
zur Kenntnis genommen und deshalb auch nicht bearbeitet. Jetzt kommen wir
aber zu der Behandlung archäologischen Materials bekannten Alters durch
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C14-Crash
Libby, der damit eine zweite Phase der Überprüfung seines methodischen An-
satzes eröffnete.
6.6 Die »Curve of Knowns« 1949
Libby war im Oktober 1945 einem Ruf an das »Department of Chemistry and
Institute for Nuclear Studies« der University of Chicago gefolgt und hatte
dort mit 36 Jahren als jüngster ordentlicher Professor einen Lehrstuhl in Che-
mie übernommen. Er tat das auch, um weiter mit H.C. Urey zusammenarbei-
ten zu können. Nur Urey sollte in den kommenden Jahren von der verrückten
Idee Libbys Kenntnis haben, »den Beweis anzutreten, daß eine Datierung mit
C14 die Geschichte der Zivilisation enthüllen könnte« [Taylor 1987, 152]. Libby
übte komplette Zurückhaltung, wenn es um die C14-Datierung ging: »Er war
der Meinung, daß die öffentliche Diskussion einer solch verrückten Idee ihn
als Phantasten abstempeln und ihn weder Mittel noch Studenten zur Unter-
stützung seiner Forschungen finden lassen würde« [Libby 1980, 1018f.]. Doch
bereits zeitgleich zu dem ersten ernsthaften Experiment (der im vorangegan-
genen Kapitel beschriebenen Aktivitätsmessung an modernem und an fossi-
lem Methan) brachte die Post Libby bereits eine erste Herausforderung ins
Haus, ein Paket mit altägyptischen Artefakten, geschickt von Kurator der
Ägyptischen Abteilung des Metropolitan Museums von New York.
J.R. Arnold, einer der Mitarbeiter Libbys, berichtete, wie es dazu gekom-
men war: »In gewisser Weise hatte mich auch meine
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