Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Admin
Vom Netzwerk:
81

    zu dünn. Kurz gesagt, sie bestand aus einer Übertreibung nach der anderen, und jeder Versuch ihrerseits, die Schä-
    den zu maskieren, betonte sie nur noch. Ihr Haar, das sie lang trug, um die Sünden ihres Halses zu bedecken, war so voll und dunkel, daß das Gesicht in seinem Rahmen kränklich aussah. Ihr Mund, der bis zum letzten Grübchen der Mund ihrer Mutter war, war natürlich, sogar unangemessen rot, aber wenn sie seine Frage mit einem blassen Lippenstift zähmte, sahen ihre Augen dadurch nur größer und verwundbarer denn je aus.
    Es war nicht so, daß die Summe ihrer Züge unattraktiv war. Sie hatte mehr als ihren Teil Männer gehabt, die ihr zu Füßen lagen. Nein, das Problem war, sie sah nicht so aus, wie sie sich fühlte. Es war ein süßes Gesicht, aber sie war nicht süß; wollte nicht süß sein oder als süß betrachtet werden. Vielleicht würden die heftigen Gefühle, die sie in den vergangenen paar Stunden berührt hatten – der Anblick des Blutes, der Anblick der Grabmäler –, mit der Zeit ihre Spuren hinterlassen. Sie hoffte es. Die Erinnerungen daran regten sich noch in ihr, und sie hatten sie bereichert, so schmerzlich sie auch gewesen sein mochten.
    Sie ging nackt ins Schlafzimmer zurück. Die Feiernden im Nebenzimmer waren, wie sie gehofft hatte, leiser geworden. Die Musik war kein Rock'n'Roll mehr, sondern etwas Verschmustes. Sie setzte sich auf den Bettrand, strich mit den Händen hin und her über ihre Brüste und genoß deren Weichheit. Ihr Atem hatte sich dem langsamen Rhythmus der Musik angepaßt, die durch die Wand drang; Musik, bei der man Lenden an Lenden, Mund an Mund tanzen sollte. Sie legte sich auf dem Bett zurück, ihre rechte Hand glitt am Körper hinab. Sie konnte den Niederschlag von monatelangem Zigarettenrauch in dem Laken riechen, auf dem sie lag. Dadurch wirkte das Zimmer mit seinem nächtlichen Kommen und Gehen 82

    beinahe wie ein öffentlicher Ort. Der Gedanke an ihre Nacktheit in solch einem Zimmer und der saubere Geruch ihrer Haut auf dem muffigen Laken waren sehr erregend.
    Sie glitt mit Zeige- und Mittelfinger in ihre Fotze, wobei sie die Hüften ein wenig hob, um der Berührung entge-genzugehen. Dies war ein Vergnügen, das sie sich nur allzuselten gönnte; ihre katholische Erziehung hatte Schuldgefühle zwischen ihre Instinkte und ihre Fingerspitzen geschoben. Aber heute nacht war sie eine andere Frau. Sie fand die richtigen Stellen sofort, stemmte die Füße gegen den Bettrand und spreizte die Beine, damit beide Hände spielen konnten.
    Sie dachte nicht an Boone, als die ersten Wogen der Gänsehaut kamen. Tote Männer waren schlechte Liebhaber. Es war besser, sie vergaß ihn. Sein Gesicht war hübsch gewesen, aber sie würde es nie wieder küssen.
    Auch sein Schwanz war schön gewesen, aber sie würde ihn nie mehr streicheln oder in sich spüren. Sie hatte nur sich selbst und Lust um reiner Lust willen. Genau das stellte sie sich jetzt vor: eben den Akt, den sie ausführte.
    Ein sauberer Körper nackt auf einem muffigem Bett. Eine Frau in einem fremden Zimmer, die Spaß an ihrem noch fremderen Selbst hatte.
    Sie bewegte sich nicht mehr im Rhythmus der Musik.
    Sie hatte ihren eigenen Rhythmus gefunden, der anstieg und fiel, anstieg und fiel, jedesmal ein wenig höher. Es gab keinen Gipfel, nur Höhepunkt um Höhepunkt, bis sie schweißgetränkt und von Empfindungen überflutet war.
    Sie lag mehrere Minuten still. Da sie wußte, der Schlaf würde sie gleich überkommen, und sie die Nacht kaum in ihrer momentanen Stellung verbringen konnte, schlug sie sämtliche Decken zurück, außer einem einzigen Laken, legte den Kopf aufs Kissen und fiel in den Raum hinter ihren geschlossenen Augen.

    83

    2
    Der Schweiß auf ihrem Körper kühlte unter dem dünnen Laken ab. Im Schlaf war sie auf dem Friedhof von Midian, der Wind wehte ihr durch alle Straßen aus sämtlichen Richtungen gleichzeitig entgegen – Norden, Süden, Osten und Westen – , und er machte sie frösteln, während er ihr das Haar um den Kopf wehte und in ihre Bluse stob. Der Wind war nicht unsichtbar. Er hatte eine Beschaffenheit, als trüge er eine Staublast, deren Körnchen ihr unaufhaltsam die Augen verklebten und die Nase verstopf ten, einen Weg in ihre Unterwäsche fanden und auch über jene Wege in ihren Körper hinein.
    Erst als der Staub sie vollkommen blendete, wurde ihr klar, was er war – die Überreste der Toten, der uralten Toten, die von entgegengesetzten Winden von Pyrami-den und

Weitere Kostenlose Bücher