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Cabal - Clive Barker.doc

Cabal - Clive Barker.doc

Titel: Cabal - Clive Barker.doc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Admin
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Von diesem Aussichtspunkt aus glich er einer Festung. Vielleicht hielten die hohen Mauern Tiere fern, doch schien das eine unnötige Vorsichtsmaßnahme zu sein. Die Toten waren unter ihren Gedenksteinen unbedingt sicher. Wahrscheinlich wollten die Trauernden mit den Mauern verhindern, daß die Toten Macht über sie 78

    erlangten. Innerhalb dieser Pforten war der Boden den Verstorbenen geweiht und wurde in ihrem Namen ge-hegt. Außerhalb gehörte die Welt den Lebenden, die von denen, die sie verloren hatten, nichts mehr lernen konnten.
    Sie war nicht so arrogant. Heute nacht gab es zuviel, was sie den Toten sagen wollte; und so vieles zu hören.
    Das war ein Jammer.
    Sie kehrte in seltsamer Hochstimmung zum Auto zu-rück. Erst als die Türen verriegelt waren und der Motor lief, sagte Sheryl:
    »Jemand hat uns beobachtet.«
    »Bist du sicher?«
    »Ich schwöre es. Ich habe ihn gerade noch gesehen, als ich zum Auto kam.«
    Sie rieb sich heftig die Brüste. »Herrgott, meine Nippel werden ganz taub, wenn ich so friere.«
    »Wie hat er ausgesehen?«
    Sheryl zuckte die Achseln. »Konnte ich im Dunkeln nicht sehen«, sagte sie. »Ist auch nicht mehr wichtig. Wie du gesagt hast, wir werden nicht noch einmal hierher kommen.«
    Richtig, dachte Lori. Sie konnten die gerade Straße entlangfahren, ohne sich einmal umzudrehen. Vielleicht beneideten die verstorbenen Bewohner von Midian hinter den Mauern ihrer Festung sie darum.

    79

    IX
    Berührt
    l
    Es war nicht schwer, in Shere Neck eine Unterkunft zu suchen; es standen nur zwei Hotels zur Verfügung, und eines war bereits zum Brechen voll von Käufern und Verkäufern eines Landmaschinenverkaufs, der gerade stattgefunden hatte, und einige der Überzähligen beleg-ten auch Zimmer im anderen Etablissement, dem Sweetgrass Inn. Wäre nicht Sheryls Art zu lächeln gewesen, wären sie möglicherweise auch dort abgewiesen worden; aber nach einigem Hin und Her wurde ein Zweibettzim-mer für sie gefunden, das sie gemeinsam beziehen konnten. Es war schlicht, aber gemütlich.
    »Weißt du, was mir meine Mutter zu sagen pflegte?«
    sagte Sheryl, während sie im Badezimmer ihr Reiseneces-saire auspackte.
    »Was?«
    »Sie pflegte zu sagen: Dort draußen wartet ein Mann auf dich, Sheryl; er läuft herum und trägt deinen Namen an sich. Vergiß nicht, dies sagt dir eine Frau, die dreißig Jahre nach ihrem speziellen Mann gesucht hat, ohne ihn zu finden. Aber sie hat sich stets an diese romantische Vorstellung geklammert. Weißt du, der Mann deiner Träume wartet direkt hinter der nächsten Ecke. Und damit hat sie mich auch beeinflußt, der Teufel soll sie holen.«
    »Immer noch?«
    »O ja. Ich suche immer noch nach ihm. Nach allem, was ich durchgemacht habe, sollte ich es eigentlich besser wissen. Möchtest du zuerst duschen?«

    80

    »Nein. Geh nur.«
    Nebenan hatte eine Party angefangen, die Wände waren so dünn, daß sie den Lärm kaum dämpfen konnten.
    Während Sheryl duschte, lag Lori auf dem Bett und dachte über die Ereignisse des Tages nach. Diese Übung dauerte nicht lange. Als nächstes wurde sie von Sheryl geweckt, die geduscht hatte und für einen Abend in der Stadt bereit war.
    »Kommst du mit?« wollte sie wissen.
    »Ich bin zu müde«, sagte Lori. »Geh und stürz dich ins Vergnügen.«
    »Wenn es ein Vergnügen gibt...« sagte Sheryl sehn-süchtig.
    »Dann wirst du es finden«, sagte Lori. »Gib ihnen etwas, worüber sie reden können.«
    Sheryl versprach, daß sie das tun würde, und überließ Lori ihrer Ruhe, doch deren Müdigkeit war der Biß genommen worden. Sie konnte nur noch dösen, und selbst das wurde gelegentlich von lauten Ausbrüchen trunkener Ausgelassenheit aus dem Nebenzimmer unterbrochen.
    Sie stand auf und suchte nach einem Getränkeautoma-ten nebst Eis, dann kehrte sie mit ihrem kalorienfreien Schlummertrunk zu einem weniger als friedlichen Bett zurück. Sie beschloß, ein entspannendes Bad zu nehmen, bis Trunkenheit oder Müdigkeit die Nachbarn zum Schweigen brachte. Als sie bis zum Hals in heißem Wasser lag, spürte sie, wie sich ihre Muskeln entkrampften, und als sie aus der Wanne stieg, fühlte sie sich schon wesent-lich gelöster. Das Bad hatte keinen Abluftschacht, daher waren beide Spiegel beschlagen. Sie war ihnen für ihre Diskretion dankbar. Der Katalog ihrer Unzulänglichkei-ten war auch ohne neuerliche Selbstbetrachtung, die ihn erweitern würde, umfangreich genug. Ihr Hals war zu dick, das Gesicht zu schmal, die Augen zu groß, die Nase

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