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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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berechenbar und zuverlässig, dass ich bald ein, zwei Minuten früher nach draußen wechselte, um es nicht zu verpassen.
    Ich erinnere mich an das erste, weiß glühende Pünktchen, das über der schwarzen Gebirgskette erstrahlte und sich rasch zu einer mächtigen, blendenden Scheibe vergrößerte; an die sofort spürbare Wärme, an das damit verbundene Glück, ja an das Gefühl, errettet worden zu sein. Noch nie hatte ich so gefroren wie hier im Süden. Und noch nie hatte ich der Sonne gegenüber so etwas empfunden wie – Dankbarkeit.
    Ich erinnere mich an die wohlige Wärme, die allmählich in die Knie, die Fingergelenke kroch, erinnere mich, wie die verspannten Muskeln sich zu lösen begannen, bis mir irgendwann, sehr bald, so warm wurde, dass ich die Lederjacke auszog, mein Schreibheft aufschlug und versuchte, mich wieder auf die grimmig bittere Tonart einzustimmen, die ich zum Vorantreiben der Erzählung benötigte.
    Ich erinnere mich, wie sich mit der Sonne allmählich, sehr langsam, das Leben auf der Promenade zu regen begann; zuerst kamen die Hunde: die kleinen gescheckten Cabo-Möpse, wie ich sie leichtfertig taufte, noch vereinzelt um diese Zeit, misstrauisch Mauern und Winkel beschnüffelnd, als wäre die Welt neu erschaffen worden über Nacht.
    Ich erinnere mich an die beiden Männer im gestreiften Pyjama, die jeden Morgen ungefähr einhundert Meter weiter östlich auf die Promenade heraustraten; zuerst einer, er blickte lange aufs Meer, so konzentriert und zielgerichtet, dass ich mich fragte, ob ich irgendetwas Wichtiges dort draußen übersehen hatte. Nach einer Weile gesellte sich ein zweiter Mann zu ihm, ebenfalls im Schlafanzug. Meist standen die beiden stumm beisammen, aber von Zeit zu Zeit konnte es passieren, dass sie in einen stürmischen Disput verfielen. Plötzlich schrien sie sich an, fuchtelten mit den Armen, gingen drohend aufeinander zu, bis einer von beiden sich, nachdem er irgendein endgültiges Credo verkündet hatte, theatralisch abwandte und losmarschierte – um nach zwei oder drei Schritten kehrtzumachen und wieder, als wäre nichts geschehen, stumm und friedlich an seinen Platz zurückzukehren.
    Ich erinnere mich an die Frauen, die kamen, um der Alten in der Küche zu helfen (darunter die Frau mit dem dicken Hintern), genauer gesagt, erinnere ich mich an das Gezeter, das von jetzt an aus der Küche drang: Auch die Frauen schrien einander an, und es dauerte eine Weile, bis ich begriff, dass ihr Geschrei nicht feindselig, im Grunde nicht einmal Geschrei war, sondern einfach ein Tonfall, der, wie auch die grundsätzlich fehlenden s-Laute am Ende des Wortes, zum andalusischen Dialekt gehörte.
    Ich erinnere mich, dass ich lange Zeit nichts schrieb, aufs Meer starrte; dass ich auf einmal das intensive Gefühl hatte, zu allem dazuzugehören, oder umgekehrt: dass alles zu mir, dass alles zu meiner Geschichte gehörte, sogar die Hunde, die, wenn ich ehrlich war, schon längst nicht mehr alle gleich aussahen. Ich erinnere mich, wie ich die beschriebenen Seiten aus meinem blauen Heft herausriss und in das nun wieder neue, leere Heft einen neuen, weniger bitteren ersten Satz schrieb.
    Aber dann kommt die Mittagszeit. Ich erinnere mich an das (trotz der südlichen Sonne) porzellanweiße Gesicht der Frau, die mir, ohne je eine Miene zu verziehen, mein Mittagessen serviert. Ich erinnere mich, wie sie mir, nachdem sie den Teller auf den Tisch geknallt hat, ihren Hintern zuwendet und, die kürbisgroßen Gesäßhälften abwechselnd hebend, zum Familientisch walzt. Und ich komme mir an meinem Extratisch so ausgeschlossen vor wie noch nie.
    Ich versuche herauszuhören, ob sie an ihrem Familientisch über mich reden, ob sie, wenn sie lachen, über mich lachen, und es genügt die Entdeckung, dass sie einen anderen Salat, einen anderen Wein oder anstelle des täglichen Fischs, der mir serviert wird, Hähnchen bekommen, damit ich mich benachteiligt fühle.
    Dann liege ich wieder in der Hängematte; ich habe meine Isomatte hineingelegt, um mich gegen den kühlen Wind zu schützen, aber vor den Gedanken, die in meinem Kopf umherspringen, gibt es keinen Schutz. Ich stehe auf, versuche es erneut mit Spaziergängen durch die von Unrat übersäte Steppe.
    Einmal finde ich einen Koffer: einen Alu-Flugkoffer, ziemlich neu, verschlossen und mit einem Namensschild, seltsamerweise glaube ich den Namen sogar noch zu wissen (Andreas Hetzel). Einen Augenblick überlege ich, ob ich die Polizei verständigen muss, aber

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