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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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Kofferschloss mit Hilfe eines natriumhydroxidhaltigen Rohrreinigers zerstört (was nur – und auch nur theoretisch – bei Aluminium funktioniert, in der Regel werden solche Schlösser jedoch aus chemisch nicht zersetzbarem Stahl gefertigt). Aber der Engländer nahm es hin, und ich setzte die Geschichte in holprigem Englisch fort.
    Ich erinnere mich nicht mehr an Worte, aber an Bilder: an die sorgfältig zusammengelegte Kleidung im Koffer (die zufällig der Größe des Mannes genau entspricht). An den deutschen Pass, den er findet (und den ich, obwohl die Pässe damals, glaube ich, grün waren, heute rot sehe). Außerdem findet er ein Fax aus Paris, das eine Reservierung in einem Luxushotel bestätigt.
    Und an noch ein Detail erinnere ich mich: dass der Mann vermittels eines violetten Stifts, den er im Supermarkt von Cabo de Gata kauft, den Stempelandruck auf der Ecke seines Fotos, das er in den fremden Pass einklebt, zu fälschen vermag, bevor er neu eingekleidet und mit neuer Identität nach Paris fährt.
    Now that’s interesting, sagte der Engländer.
    Und in diesem Augenblick war mein Interesse an der Geschichte erloschen. Ich hatte keine Lust mehr, sie weiterzuspinnen, ja, ich erinnere mich sogar, dass mich das plötzliche Aufmerken des Engländers ärgerte.
    Weiter bin ich noch nicht, sagte ich.
    Und auch darüber ärgerte ich mich: dass der Engländer mich nun lobte, wie man einen Schuljungen lobt:
    Aber das ist doch toll (exciting)! Das wird ein Riesenerfolg! Das musst du unbedingt weiterschreiben! Usw.
    Dann bat er mich, ihm meinen vollen Namen zu nennen, damit er, so sagte er, nach dem Buch Ausschau halten könne, wenn es erscheine. Und da ich ihm meinen Vornamen schon genannt hatte, sagte ich:
    Handke. Peter Handke.
    Dann sagten wir nichts mehr – oder doch? Sprach er über das Meer oder den Mond oder über sein Motorrad oder über meine Geschichte? Ich weiß nur noch, dass der Orion am Himmel stand, worüber ich mich wunderte. Und dass ich mich fragte, woher dieser unheilvolle, dieser ruinöse, dieser irrationale Wunsch kam, zu schreiben. Ich erinnere mich an die plötzliche Verwunderung, die in mir aufstieg, ja sogar an Wut. Ich dachte an die vielen gescheiterten Versuche, an die Qualen, die ich mir zufügte. Es war, dachte ich, offenkundig idiotisch, sein Leben so zu verbringen: mit einer altmodischen, selbstzerstörerischen Tätigkeit, die obendrein brotlos war! Ich wusste es doch! Ich hatte gründlich im Umfeld jener Hunde- und Katzenbiographin recherchiert. Selbst wenn ich einen Roman zustande bekäme, ja selbst wenn dieser Roman von einem großen, angesehenen Verlag gedruckt würde, wäre es Dummheit und Selbstbetrug, damit zu rechnen, dass ich eine Auflagenhöhe von dreitausend Exemplaren wesentlich überschritt, in Zahlen ausgedrückt: dass ich mehr als neuntausend Mark an einer Arbeit verdiente, an die ich Monate oder eher Jahre meines Lebens verschwendet, deretwegen ich meine Wohnung aufgegeben und meine Krankenversicherung gekündigt hatte, deretwegen meine Beziehung gescheitert war und die für meinen Vater nie etwas anderes sein würde als eine Marotte.
    Let’s go, sagte der Engländer.
    Ich erinnere mich, wie er die Bierdose in seiner Bergarbeiterpfote zerdrückte. Ich erinnere mich an das Knittergeräusch des Blechs. Und ich erinnere mich, dass ich, als wir uns verabschiedeten, beschloss, ihn am Morgen zu fragen, ob er mich mitnähme auf seinem Motorrad.

5
    Nach zwei Tagen meint der Engländer, alles gesehen zu haben, was es in Cabo de Gata zu sehen gibt, und fährt weiter in Richtung Gibraltar. Ich bleibe und nehme den gewohnten Tagesrhythmus wieder auf. Allerdings mit kleinen Änderungen.
    Ich spiele jetzt Billard. Ich spiele immer am Nachmittag, wenn ich nach meinen Ausflügen wieder ins Dorf zurückkehre. Ich habe mir angewöhnt, täglich am Strand spazieren zu gehen, genauer gesagt: auf dem Hinweg – Hinweg: wohin? – nehme ich den Strand, zurück gehe ich ein paar hundert Meter landeinwärts an den Flamingo-Seen entlang, die übrigens, wie sich herausstellt, der Salzgewinnung dienen: Es sind künstliche Becken, in denen das Meerwasser allmählich verdunstet und, wie man in einigen sieht, eine tote, schmutzige Salzkruste zurücklässt.
    Täglich um die gleiche Zeit betrete ich die Bar, wo der schmächtige Barmann hinter der Theke steht und, blindlings Gläser polierend, zu seinem Fernseher aufschaut.
    Wenn ich die Freiheit hätte, es zu erfinden, würde ich dem Barmann

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