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Cabo De Gata

Cabo De Gata

Titel: Cabo De Gata Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eugen Ruge
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Mittagessen verflüchtigte sich meine Hochstimmung wieder. Mich verstörte das Verhalten der jungen Frau, die mich an diesem Tag (und dann auch an allen folgenden) bediente – falls man das wortlose Hinknallen der Teller als Bedienen bezeichnen darf. Die Dickärschige, wie ich sie wegen ihres wahrhaft gigantischen Hinterteils nannte, gehörte offenbar zur Familie der Alten, die sich zur Mittagszeit an einem der hinteren Tische versammelte. Ich saß abseits an meinem Fenstertisch, und ich erinnere mich, dass ich mich angesichts der unerklärlichen Feindseligkeit der jungen Frau zu fragen begann, ob ich mir, ohne es zu merken, etwas hatte zuschulden kommen lassen. Immerhin erwies sich das Essen als passabel. Es gab drei Gänge: Salat, Suppe, Fisch, und nach der scharfen Frage: Blanco o tinto? – die einzigen Worte, die sie mir zubilligte – knallte mir die Dickärschige eine Flasche Wein auf den Tisch. Am Ende warf sie mir im Vorbeigehen noch einen Fertigpudding im Plastikbecher hin, den ich demonstrativ verschmähte.
    Dann kam der Nachmittag. Nun muss ich zugeben, dass die Nachmittagsstunden ohnehin nicht zu meinen stärksten zählen. Gewöhnlich, da ich zum Schreiben kaum noch imstande bin, beschäftige ich mich nachmittags mit dem organisatorischen Teil meiner Arbeit, mit der Verwaltung meiner Existenz, einer Tätigkeit übrigens, die neuerdings, nach dem sogenannten Erfolg, geradezu monströse Ausmaße angenommen hat. Aber damals, in Cabo de Gata, gab es nichts zu verwalten, es kam nur darauf an, mich vor vergeblichen und meist zerstörerischen Schreibversuchen zu bewahren. Die Hängematte, die ich für die Reise gekauft hatte, schien das geeignete Mittel zu sein: Mußestunden, embryonale Passivität.
    Ich erinnere mich, dass ich aufbrach, um zwei zum Aufspannen der Matte geeignete Palmen zu suchen. Aber die Palmen, die in schütteren Grüppchen in der Umgebung des Ortes wuchsen, erwiesen sich bei näherem Hinsehen als jämmerliche Geschöpfe, vom Flugsand angegraut, von kleinen, schwarzen Insekten befallen. Trotz der Sonne wehte vom Hochland her kalter Wind, ich fror am Rücken, und ich erinnere mich, dass ich, während ich in der Hängematte schaukelte, den Gedanken nicht loswurde, die kleinen, schwarzen Käfer könnten mir, wenn ich einschliefe, in den Hals kriechen, ja, ich erinnere mich sogar noch daran, dass ich im Geist Insektenabwehrvorrichtungen konstruierte, Papptrichter, die ich, jeweils mit der Spitze zu mir, über die Stricke zu stülpen gedachte, bis mich das Problem zu beunruhigen begann, dass die Ränder der Trichter ja keineswegs einen gleichmäßigen Abstand zu den durchlaufenden Stricken bewahren würden, sondern durch ihr Eigengewicht auflägen, wodurch ihr Effekt zunichte wäre.
    Ich erinnere mich, wie ich, die Hängematte unterm Arm und in beinahe schon weinerlicher Stimmung, in der Umgebung von Cabo de Gata umherstelzte; wie ich zwischen den Haufen versandeten Bauschutts stand; wie ich mich über die kleinen Parzellen wunderte, die mir hier und da in der Steppe begegneten: abgezäunter Sand! Mit schäbigen Bretterbuden darauf, die von riesigen, zähnefletschenden Hunden bewacht wurden.
    Wie ich den Abend verbrachte, weiß ich nicht mehr.
    Wohl aber erinnere ich mich an den nächsten Morgen, insbesondere daran, wie ich mit klammen Fingern die Fensterläden öffnete; wie ich in banger Erwartung zu dem Stück Himmel über der Gasse aufsah – und es so makellos blau vorfand wie am Vortag. Ich erinnere mich, wie ich nach dem Duschen beschwingt, ja beinahe euphorisch zum Bäcker schritt; wie die alte schwarz gekleidete Verkäuferin mir wie schon am Vortag mein pan integral über den Tresen reichte, mit einem nonnenhaften Ausdruck, als handelte es sich nicht um einen Kauf, sondern um eine Segnung, sodass mir wie schon am Vortag nichts anderes übrigblieb, als das geringfügige Restgeld in die mit einem von der Sonne längst ausgeblichenen Jesus-Bild beklebte Spendendose zu stecken – und ich weiß noch, dass ich eine beinahe diebische Freude empfand angesichts dieses Déjà-vus; dass es mir auf dem Rückweg vorkam, als ginge ich schon seit eh und je über diese Strandpromenade; dass ich sogar die Fähigkeit, an der Wetterfahne die Windrichtung abzulesen, als ein Zeichen des Heimischwerdens ansah.

3
    Bald gewöhnte ich mir an, nach dem Frühstück auf die Bank vor dem Restaurant zu wechseln, kaum dass die Sonne über den kleinen Gebirgskamm im Osten lugte. Das war gegen neun Uhr der Fall, so

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