Cabo De Gata
bediente uns, aber seltsamerweise war sie, als der Engländer mit am Tisch saß, weniger abweisend als gewöhnlich. Es gelang dem Engländer sogar, sie zum Sprechen zu bringen, obwohl sein Spanisch noch jämmerlicher war als meines. Und als sie sich von uns abwandte und, abwechselnd ihre Kürbishälften hebend, von dannen walzte, verdrehte der Engländer die Augen und machte ein kaum hörbares Geräusch, indem er die zusammengerollte Zunge im geöffneten Mund ein paarmal hin und her schnellen ließ, eine Geste, deren Zotigkeit mich abstieß und dennoch dazu brachte, innerlich zu erproben, ob dieser unglaublich dicke, aber durchaus straffe, hochragende Arsch, den die ansonsten nicht unansehnliche, nicht einmal dicke Frau stets in einer hautengen, oft grellroten Hose präsentierte – ob dieser Arsch, meinem eher nordischen Körperideal zum Trotz, eine erotische Anziehung auf mich ausüben könnte.
Ich erinnere mich, dass der Engländer nach dem Mittagessen unbedingt die Flamingos sehen wollte. Ich erinnere mich an seinen großen Fotoapparat, mit dem er sich, unablässig den Auslöser betätigend, dem Ufer des Flamingo-Sees näherte. Ich erinnere mich, dass ich mich darüber ärgerte, dass er sämtliche Verbotsschilder, die man zum Schutz der Vögel aufgestellt hatte, ignorierte. Aber ich erinnere mich auch daran, dass die ewig am Ufer herumstaksenden Vögel zu meiner Verwunderung – ich hatte nicht gewusst, dass sie fliegen können – plötzlich in einer prächtigen rosa Formation zum Himmel aufstiegen.
Danach spielten wir Billard. Obwohl der Engländer gerade erst angekommen war, wusste er, dass es im Zentrum, direkt an dem palmengesäumten Platz, eine Bar mit einem Billardtisch gab. Es war ein unauffälliges Lokal im Stil eines Partykellers, mit einem ständig laufenden Fernseher unter der Decke und einem schmächtigen, pockennarbigen Barmann, der ein Goldkettchen um den Hals trug.
Wir waren die einzigen Gäste. Nachdem der Engländer mich zweimal mit demütigender Beiläufigkeit besiegt hatte, gab er mir eine Art Trainingsstunde, erklärte mir, wie man den Queue hielt und die Finger aufsetzte; wie man die Kugeln anspielen musste, wie man die weiße Kugel nach dem Aufprall zum Stehen brachte oder weiterlaufen ließ oder nach rechts oder links ablenkte. Danach verlor ich noch immer, aber wenigstens gelang es mir hin und wieder, eine Kugel zu versenken.
Später saßen wir mit ein paar Bierdosen auf der Bank. Ich erinnere mich an den mächtigen Sternenhimmel über uns. Ich spüre noch den Wind im Gesicht, als der Engländer mir seine Geschichte erzählte. Zu meiner Überraschung war der Mann Bergarbeiter, und tatsächlich hatte er, wie mir jetzt auffiel, große grobe Hände, die, so schien es, nur mit Mühe eine Bierdose halten konnten, ohne sie zu deformieren.
Seine Geschichte war folgende: Vor ein paar Jahren hatte er geheiratet und zusammen mit seiner Frau ein Haus gekauft, ein kleines Reihenhaus, wenn ich es recht verstanden habe, in miserablem Zustand, zum Selbstausbau. Aber kaum hatten sie das Haus gekauft, ließ seine Frau sich von ihm scheiden. Seitdem, so erzählte er mir, sei er nicht mehr zur Arbeit, überhaupt nicht mehr ausgegangen. Ein Jahr lang habe er allein in dem Haus gesessen und die Wände angestarrt. Dann, erst vor einigen Wochen, habe er das Haus verkauft, sich von dem Geld dieses Motorrad gekauft und sei losgefahren.
Dann wollte er wissen, wie lange ich schon hier sei.
Ungefähr einen Monat, sagte ich.
Nun wollte er wissen, was ich die ganze Zeit hier täte, und ich erinnere mich noch fast wörtlich an den kleinen Dialog, der folgte:
I’m trying to write a book, sagte ich.
Wow, great, sagte der Engländer. What about?
That’s not clear yet, sagte ich.
Hm, sagte der Engländer und nickte oder besser: wippte mit vornübergebeugtem Oberkörper. Wippte so lange, bis sein Wippen nichts mehr mit meiner Antwort zu tun hatte. Bis klar war, dass er, ob aus Rücksicht oder aus Desinteresse, nicht weiter nachfragen würde. Und ich, halb, weil ich, nachdem er mir seine Geschichte erzählt hatte, nicht abweisend wirken, halb auch, weil ich mich nicht blamieren wollte, erzählte ihm die Geschichte vom Koffer.
Genauer gesagt, die Geschichte von dem Mann, der, mitten in der tiefsten Krise, pleite, geschieden, erfolglos, nach Cabo de Gata fährt und einen Koffer in der Wüste findet.
Die Geschichte begann mit dem recht wirklichkeitsfernen Detail, dass der Mann, weil er Chemiker ist, das
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